Samstag, 29. Juni
Die Nacht im Matratzenlager der Gufferthütte war wie erwartet unruhig.
Warum die Wandergruppe, die dort mit mir und anderen übernachtete, so wenig Rücksicht auf uns nimmt, weiß ich nicht.
Jedenfalls wird schon sehr früh laut geredet und gelacht, geraschelt, geklappert und die Tür geknallt. Obwohl noch andere im Raum liegen und offensichtlich noch schlafen wollen.
Zum Glück war ich am Vorabend schon zeitig im Bett und habe so immerhin genug geruht.
Den Blick auf mein Handy kann ich mir sparen, denn hier gibt es nirgends Netz. Die Fotos, die ich gestern an meine Familie schicken wollte, warten noch immer auf ihre Sendung. Nicht einmal eine SMS konnte ich schicken, um von meiner Ankunft an der Hütte zu berichten. Zum Glück neigt mein Mann nicht zur Sorge und wird sich denken können, dass ich hier in den Bergen keinen Empfang habe.
Ein ruhiger Morgen auf der Gufferthütte
Leise ziehe ich mich an und schleiche auf Socken nach unten, damit die beiden Menschen unter den Schlafsack- und Deckenbergen noch ein wenig ruhen können.
Der Frühstücksraum ist voll, ich ergattere noch ein Plätzchen an einem großen Tisch und lese beim Essen auf meinem Reader.
Heute kann ich es langsam angehen lassen. Ich muss nur 11 km bergab nach Achenkirch laufen, wo ich ein Hotelzimmer reserviert habe.
Daher hole ich mir nach dem Packen und Bezahlen noch einen Kaffee und setze mich draußen auf der Terrasse in die Sonne.
Außer mir ist niemand mehr da, die anderen Übernachtungsgäste haben sich längst auf ihre Wege begeben – manche wandern zu ihrem nächsten Ziel, andere gehen Klettern und kommen am Abend wieder. Eine Frau vom Hüttenteam wischt die Tische und legt Sitzkissen aus.
Der Ausblick ist wunderbar und ich genieße die Stille.
Für solche Momente übernachte ich gerne auf Hütten, denn das, was ich jetzt gerade erlebe, gibt es nur oben auf dem Berg. Die Stille, der imposante Ausblick auf die majestätischen Berge, die seit Jahrmillionen unverrückbar ihren Platz auf der Erde einnehmen – in solchen Momenten werde ich als Mensch ganz demütig.
Die Frau vom Hüttenteam spricht mich an. Sie hat gesehen, dass ich mit Barfußschuhen wandere und wir tauschen uns über verschiedene Marken aus.
Sie ist etwas jünger als ich und nimmt sich eine Auszeit in den Bergen.
Die Westfälin ist tatsächlich die erste Person auf meiner Tour, mit der ich ein längeres und anregendes Gespräch führe. In den letzten beiden Tagen sind meine bisherigen Kontakte nicht über mehr als höflichen Smalltalk hinausgegangen.
Mit leichter Wehmut denke ich an den Jakobsweg zurück, auf dem ich jeden Tag neue, inspirierende Menschen kennenlernte und dadurch besondere Gespräche führte. Aber dafür müsste ich natürlich erstmal irgendwo langgehen, wo auch andere Menschen sind!
Andere – und vor allem viele – Menschen dürften mich spätestens morgen am Achensee erwarten.
Leider muss ich die Strecke am Achensee ausgerechnet an einem Sonntag gehen. Bei meiner Planung habe ich viel hin- und herüberlegt, wie ich das umgehen könnte, aber es gab einfach keine gute Lösung.
Für morgen gibt es eine Unwetterwarnung. Vielleicht ist es dann ja nicht so voll?
Auf dem Geopfad Richtung Tal
Mein Weg ins Achental führt unterhalb der Gufferthütte entlang und zwischen Wiesen hindurch bis in ein kleines Waldstück. Die Sonne scheint, Insekten flirren um mich herum und die Kniebandage kneift. Aber ich genieße den entspannten Abstieg, bis ich an einen Forstweg komme.
Einige E-Biker kommen mir trotz der frühen Stunde schon hier oben entgegen.
Aber ja, es ist Samstag!
Der Weg nach Achenkirch führt auf einer Forststraße permanent bergab und ist eher unspannend. Aufgelockert wird das Ganze durch den „Geopfad Obere Ampelsbach“ mit Informationstafeln.
Je weiter ich nach unten komme, desto mehr Menschen begegnen mir, entweder zu Fuß oder auf dem E-Bike. Nach einiger Zeit erreiche ich einen Wanderparkplatz, wo ich erstmal eine Pause mache, Schuhe und Socken ausziehe und endlich die Tomaten esse, die ich vorgestern am Tegernsee gekauft habe.
Nach dem Queren der Landstraße erreiche ich nach insgesamt 2,5 Stunden Gehzeit den Ort Achenkirch.
Leider hat das Hotel gerade Mittagspause und öffnet erst in 1,5 Stunden.
Unschlüssig setze ich mich auf einen Stuhl im Schatten. Was mache ich jetzt in der Zwischenzeit? Ich könnte mit dem Bus an den Achensee fahren – aber der Rucksack, in dem ich all mein Hab und Gut transportiere, ist schwer. Ich schaue mich um. Das Hotel hat einen kleinen Garten. Vielleicht kann ich meinen Rucksack dort abstellen und nur mit leichtem Gepäck an den See fahren?
Gesagt – getan. Ich tausche meine Wanderstiefel gegen leichte Trekkingsandalen, packe meine Wasserflasche, die Brotdose, Handy und Portemonnaie in den kleinen 10-Liter-Faltrucksack und gehe zur Bushaltestelle.
Wer meinen großen Wanderrucksack mitnehmen will, findet darin hauptsächlich getragene Kleidung (ich habe auf der Gufferthütte nicht gewaschen) und meine Wanderstöcke. Alles Wertvolle trage ich bei mir, auch den E-Reader.
Am Achensee
Der Achensee liegt zwischen dem Ort Achensee im Norden und Maurach im Süden und ist der größte See Tirols. Er ist eingebettet zwischen Rofan und Karwendel und wird gerne von Wassersportlern genutzt.
Bevor ich den See erreiche, kaufe ich mir in einem Supermarkt eine neue Sonnenbrille – die alte liegt ja irgendwo im Zwieselgraben. Meine Augen sind sehr lichtempfindlich, also trage ich lieber eine mittelmäßig aussehende Sonnenbrille als gar keine.
Heute ist Samstag, das Wetter ist zwar diesig, aber warm, und die Badestelle in Achenkirch ist voll. Schade, dass ich keine Badesachen mitgenommen habe. Doch nicht nur Badegäste machen es sich am und im Achensee gemütlich, sondern auch einige Tret- und Paddelboote sind zu sehen.
Zuerst setze ich mich ans Ufer, beobachte die Menschen um mich herum und lasse meine Gedanken schweifen.
Wie lange habe ich auf diese Tour hingefiebert und mich vorbereitet?
Mein Blick fällt auf die Kniebandage. Eigentlich hatte ich schon letztes Jahr hier sitzen wollen, aber da hat mein Körper nicht mitgemacht.
In diesem Jahr läuft es bisher ganz gut. Ja, das Knie tut mir abends weh, aber von den Schmerzmitteln, die ich eingepackt habe, musste ich noch keins nehmen. Es könnte also schlechter sein.
Nach einem kurzen Spaziergang nach Scholastika kehre ich ein und gönne mir einen großen Eiskaffee auf der Seeterrasse des Restaurants. Am Steg nebenan legt eine Fähre an, Menschen verlassen das Schiff, andere betreten es. Der Achensee ist etwa 9 km lang und die Fahrt mit dem Schiff sicherlich ein schönes Erlebnis.
Auf der gegenüberliegenden Seite des Sees befindet sich der Mariensteig, den ich morgen gehen werde.
Wie viele Menschen wandern wohl heute auf dem Steig entlang des Achensees – und wie viele werden es morgen am Sonntag sein?
Aber vielleicht schreckt ja das angekündigte Unwetter ein paar Leute ab.
Ich werde jedenfalls früh losgehen, um so weit wie möglich zu kommen. Am Mariensteig kann man nicht abkürzen, es gibt nur den Zwischenstopp Gaisalm ungefähr auf der Hälfte. Da ich auch noch mit der Gondel hoch zur Erfurter Hütte fahren muss, werde ich einen gewissen Zeitdruck haben.
Es war fast unmöglich, eine bezahlbare Unterkunft rund um Maurach zu finden, deshalb entschied ich mich für eine Übernachtung auf der Erfurter Hütte. Das war, trotz nicht gerade günstiger Bergbahn, immer noch billiger als eine Unterbringung direkt am See.
Zum Glück habe ich zwischen den beiden Nächten im Hüttenlager noch eine Nacht im Hotel. Wer weiß schon, welche Reisegruppen mich morgen auf der Erfurter Hütte erwarten!
Aber heute ist es noch sonnig (allerdings etwas diesig – ist das etwa schon ein Vorbote für morgen?), warm und wie gemacht für einen Tag am See.
Pizza und Fußball in Achenkirch
Mit dem Bus fahre ich zurück zum Hotel.
Dort herrscht mittlerweile reger Betrieb, mein Rucksack steht unangetastet hinter der Hausecke und ich checke ein. Nach der Dusche und der Handwäsche meiner Klamotten gehe ich nach nebenan in die Pizzeria.
Heute spielt Italien in der K.O.-Runde der Fußball-EM gegen die Schweiz – es gibt wohl kaum einen passenderen Ort, um das Spiel anzuschauen!
Das dachten sich anscheinend noch mehr Leute. Es ist voll und ich habe wohl nur Glück, weil ich frühzeitig da bin und mir ein kleiner Tisch reicht. Bei einer leckeren Pizza schaue ich mir das Spiel an, das den vielen anwesenden Italienerinnen und Italienern aber nur wenig Freude bereitet.
Am Nachbartisch sitzen ein paar Studierende aus Deutschland, wie ich den Gesprächen entnehme. Sie tragen gelbe Bändchen mit dem typischen Ü für die Alpenüberquerung und tauschen sich über den morgigen Tag aus: Wann müssen wir die Koffer abgeben, wann fährt der Bus zum Achensee?
Ein ausgedruckter Tagesplan mit den wichtigsten Infos macht ihre Wanderung zu einer All-inclusive-Reise.
Das für morgen angekündigte Unwetter spielt in ihren Gesprächen keine Rolle.
Ich werde nachdenklich.
So schön die Berge auch sind – sie sind ein potenziell gefährlicher Ort.
Jedes Jahr kommen zwischen 200 und 300 Personen in den Alpen ums Leben, Tausende werden verletzt.
Das Wetter kann jederzeit umschlagen, und ein Gewitter oder plötzlicher Schneefall sind nie auszuschließen.
Trotz sorgfältiger Planung durch den Veranstalter gibt es in den Bergen immer gewisse Risiken und man sollte das Wetter jederzeit im Blick haben.
Zum Glück fährt ein Bus am Achensee entlang, sodass ich in der allergrößten Not nach Maurach fahren könnte.
Aber vormittags, wenn ich laufe, soll es ja noch schön sein.
Nach dem verlorenen Spiel ist die Stimmung in der Pizzeria leicht getrübt.
Aber ich bin ohnehin mit Essen fertig und gehe nach einem Basilikumlikör nach nebenan in mein Hotel.
Mit Blick auf die Berge schlafe ich ein.
Gehzeit inkl. Pausen: 2:45 Std.
Strecke: 11 km
Höhenmeter: 80 hm auf/ 640 hm ab
Wertung Landschaft: 3/5
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Alpenüberquerung Tegernsee-Sterzing
Tag 4 Achenkirch-Erfurter Hütte
VÖ geplant für 21.03.25