Meine Alpenüberquerung: Tag 7 – Hochfügen-Dominikushütte

Im Hintergrund ein Bergpanorama mit pink blühenden Alpenrosen, im Vordergrund ein hellblauer Kreis mit dem Text: Alpenüberquerung Tegernsee-Sterzing Tag 7 Hochfügen-Dominikushütte

Mittwoch, 03. Juli

Nach einem opulenten Frühstück starte ich um 8.30 Uhr den siebten Tag meiner Alpenüberquerung.
Der Normalweg führt auf einem breiten Wirtschaftsweg aus Hochfügen heraus, geht mit leichter Steigung weiter ins Tal hinein und erst später richtig in die Höhe.
Ich entscheide mich für einen anderen Weg in Richtung Rastkogelhütte und steige schon direkt im Ort zur höher gelegenen Holzalm auf.
Puh, ist das anstrengend!
Liegt es am guten Frühstück? Oder braucht mein Körper nach sechs teilweise abenteuerlichen Wandertagen mal eine Pause? Und auch mein Knie schreit mich an, allerdings nicht vor Begeisterung.

Ein altes, verwittertes Bauernhaus aus dunklem Holz. An der Hauswand hinter dem Balkon hängt ein großes Kruzifix.
Ein Gebäude nahe der Holzalm

Jedenfalls komme ich nur im Schneckentempo vorwärts und muss immer wieder anhalten. Peu á peu schleiche ich nach oben und kann immer wieder auf die Dächer von Hochfügens Hotels schauen (und auch auf den riesigen Asphalt-Parkplatz). Schön ist anders – nur wo? Ich schaue mich um. Hier oben ist es genauso neblig wie gestern am Kellerjoch. Das muss ja nun wirklich nicht sein!

Nicht schon wieder Nebel!

Der Blick nach unten auf den Ort ist halbwegs frei, und so sehe ich die anderen Alpenüberquerer in kleinen Grüppchen gemütlich auf dem Wirtschaftsweg wandern.
Allein das Wissen, dass alle früher oder später nach oben müssen, verhindert, dass ich mich über meine (mal wieder) Extratour ärgere.

Blick in ein schmales Tal. Man sieht Wiesen und Wälder und einen schmalen Weg. Der Himmel ist wolkenbedeckt.
Da unten läuft man bestimmt entspannter!

Der Weg zwischen Holzalm und Viertelalm Niederleger ist schön und ich vermute tolle Weitblicke – wenn man mal mehr als zwanzig Meter weit gucken kann …
Niederleger und Oberleger sind übrigens Teil der Dreistufenwirtschaft in den Alpen. Im Frühjahr kommt das Vieh zum Niederleger, im Sommer dann zum Oberleger und im Herbst wieder zurück ins Tal, manchmal auch mit Zwischenstopp auf dem Niederleger. Das habe ich nachgeschlagen, weil ich hier immer wieder über die Begriffe stolpere.
Zwischen Niederleger und Oberleger (also unteren und oberen Almen) der Viertelalm gibt es einen Serpentinenweg – oder eine Abkürzung. Ich entscheide mich für den kürzeren Weg, wohlwissend, dass er steiler sein wird als der Serpentinenweg.

Leuchtkeks zwischen Alpenrosen

Nun, was soll ich zu der Abkürzung sagen?
Ich kämpfe mich bei einer Sicht von wenigen Metern durch ein Meer von Alpenrosen. Immer wieder bleibe ich stehen, schnaufe und schaue mich um. Bei Sonnenschein muss es hier wunderschön sein!
Aber bei Sonnenschein ist es bestimmt schrecklich heiß und die Sonne knallt erbarmungslos herunter, versuche ich mir meine aktuelle Lage schönzureden.
Für den Weg brauche ich eine halbe Stunde. Zum Glück habe ich direkt beim Start am Hotel alles, was ich an hellen und neonfarbenen Kleidungsstücken habe, angezogen! Logisch, dass auch mein Rucksack wieder im leuchtend orangenen Kleidchen steckt.
Ich bin komplett alleine auf diesem Weg. Sollte mir hier irgendwas passieren und man sucht mich, will ich auch entdeckt werden. Wobei mich bei dem Nebel vermutlich niemand suchen würde.
Seufz.

Ein Nadelbaum steht zwischen pink blühenden Alpenrosen, alles ist in Nebel getaucht und wirkt fast mystisch.
Ich glaube, hier ist es sehr schön!

Oben am Hochleger der Viertelalm angekommen, führt der Weg moderat weiter in Richtung Rastkogelhütte. Die Sicht ist nach wie vor sehr eingeschränkt und ich habe teilweise Mühe, den schmalen Pfad zu entdecken.
Laut meinem Wanderführer eröffnet sich hier irgendwo ein „unglaublicher Blick auf den Alpenhauptkamm“. Ich bin froh, dass ich überhaupt den Weg sehen kann und entscheide mich gegen den weiteren Aufstieg aufs Kreuzjoch.
Was soll ich auch bei dem Nebel da oben, von der Gefährlichkeit des Ganzen einmal abgesehen?
Also folge ich den Schildern zur Rastkogelhütte.
Jetzt bin ich also auf 2.124 Meter Höhe und sehe doch nichts weiter als das Dach der Rastkogelhütte und ein bisschen vom Grundstück.

Die Rastkogelhütte

Ziemlich enttäuscht gehe ich zur Hütte, um etwas zu trinken und mir einen Stempel für die Etappe zu holen. Drinnen trifft mich jedoch fast der Schlag. Die Hütte ist übervoll mit Menschen, es ist heiß und eng, im Vorraum steht alles voll mit Rucksäcken, Wanderstöcke hängen an der Garderobe und es ist laut.
Das ist das letzte, was ich jetzt gebrauchen kann, also gehe ich kurz zur Toilette, stemple mein Stempelheft ab und verlasse die Hütte wieder.

Man schaut von oben über einen Berggrat auf eine weiter unten gelegene Berghütte. Die Umgebung ist komplett vernebelt, man sieht nur die Hütte.
Gerüchten zufolge hat man von hier aus einen fantastischen Blick über den Alpenhauptkamm

Leider hat sich auch der Nebel in der kurzen Zeit nicht verzogen. Ich weiß, dass hier überall Berge sind, dass man einen grandiosen Blick über unzählige, teilweise schneebedeckte Gipfel haben kann und dass überall blühende Alpenrosen wachsen.
Aber ich sehe so gut wie nichts.
Enttäuscht nehme ich den Wirtschaftsweg Richtung Melchboden. Den Abzweig hoch zum Mitterwandskopf erspare ich mir.
Wenigstens wird der Weg irgendwann zu einem schmalen Pfad zwischen leicht unwegsamem Gelände und bietet ein wenig Abwechslung. Hier sind auch andere Wanderer unterwegs, und nach einer Dreiviertelstunde erreiche ich die Jausenstation Melchboden.

Ein Blick ins Zillertal

Von hier aus fährt ein Shuttlebus ins Tal.
Der Bus ist gut gefüllt mit Menschen, Rucksäcken und Hunden und der Fahrer erzählt, dass bei schönem Wetter kaum alle Leute in den Bus passen, die mitfahren wollen.
Ich sitze am Fenster und genieße den Ausblick.
Endlich haben sich die Wolken ein wenig verzogen und ich kann mir das erste Mal das Zillertal anschauen. Bisher war mir ja nahezu jeder Blick verwehrt worden.
Im Tal fahre ich mit dem Zug von Ramsau nach Mayrhofen.
Unten tobt das Leben, überall bewegen sich Menschen, Autos, Busse und stehen Wohnhäuser und Geschäfte. Oben herrscht noch immer Nebel.
In Mayrhofen habe ich eine halbe Stunde Zeit, bis mein Bus zum Schlegeisspeicher fährt, wo ich ein Bett in der Dominikushütte reserviert habe.

Ein fast typisches Alpenpanorama, allerdings hängen Regenwolken tief über den Gipfeln.
Blick vom Melchboden ins Zillertal

Plötzlich fühle ich mich leer und irgendwie fehl am Platz.
Die anderen Alpenüberquerer aus dem Shuttlebus gehen zu ihren Unterkünften in Mayrhofen, freuen sich auf die Dusche, das Bett, ein leckeres Essen.
Ich humple mit schmerzendem Knie an einer Großbaustelle vorbei in den kleinen Ort und hole mir ein Brötchen. Lustlos mache ich ein paar Fotos und humple zurück zum Bahnhof.
Nur: Wo bleibt der Bus? Er hätte schon längst da sein müssen!
Der Blick auf den Fahrplan irritiert mich noch mehr. Irgendwas stimmt hier nicht. Dann suche ich das Kleingedruckte – na super!
Wir haben Vorsaison und der Bus fährt erst ab nächster Woche halbstündig. Heute fährt er nur einmal in der Stunde, ich habe also immer noch zwanzig Minuten Zeit.
Wenn ich das gewusst hätte, wäre ich entspannter durch Mayrhofen geschlendert.
Also hole ich mir am Kiosk ein Eis, setze mich auf eine Bank und beobachte das laute Leben am Bahnhof Mayrhofen.

Am Schlegeisspeicher

Der Bus zum Schlegeisspeicher kommt tatsächlich pünktlich und bringt mich und ein paar andere Fahrgäste ins Zemmtal. Noch vor der Mautstation sind alle anderen ausgestiegen und mir wird mulmig. Ich habe keinerlei Ortskenntnis, der Fahrer fährt für mein Gefühl viel zu schnell und der Bus knirscht, quietscht und klappert lauter, als es mir behagt.
Und dann kommt die Angst, etwas falsch gemacht zu haben. Die Busfahrt dauert so lange, der Fahrer rast durchs Gebirge – und ich bin der einzige Fahrgast. Und jetzt fahren wir auch noch durch einen langen Tunnel mitten durch den Berg!
Krimiplots jagen durch meinen Kopf, aber auch Unfallgeschichten von Polizei und Bergwacht. Können wir nicht ein bisschen langsamer fahren?
Plötzlich ragt die hohe und steile Staumauer des Schlegeisspeichers vor uns auf. Ich denke nicht mehr über Krimiplots nach, sondern über die Fertigkeiten von Bauingenieuren – und es fühlt sich kein bisschen besser an.
Doch irgendwann erreichen wir die Haltestelle ganz oben auf dem Parkplatz und ich steige erleichtert aus. Von hier aus sehe ich schon die Dominikushütte oberhalb und gehe erleichtert darauf zu.

Zwischen Büschen hindurch kann man auf einen hellblauen künstlichen See blicken. Die Wolken hängen so tief, dass man von den umliegenden Bergen nichts sieht.
Der Schlegeisspeicher

In der Hütte werde ich sogleich von Wirt und Herbergsvater Heiko empfangen.
Ich habe Glück und das Haus ist nicht ausgebucht, sodass ich ein Zimmer für mich alleine habe.
Er zeigt mir die Duschen und einen Korb für meine Wäsche.
Ich kann es kaum fassen, aber hier gibt es tatsächlich einen Wäscheservice, für alle und ohne Aufpreis. Schon das zweite Mal auf meiner Tour!
Der Tag heute war lang, und nach der Dusche und nachdem ich mein Knie eingecremt habe, gehe ich in den Speiseraum.

Ende gut, alles gut

An einem großen Tisch sitzt ein Wanderer etwa in meinem Alter. Ich frage, ob ich mich dazusetzen kann, und wir kommen ins Gespräch. Lars ist auf dem Traumpfad von München nach Venedig unterwegs.
Ich bin sehr beeindruckt. Mir stecken schon meine bisher sieben Wandertage in den Knochen und ich komme jeden Morgen schlechter los.
Er möchte am nächsten Tag ebenfalls hoch zum Pfitscher Joch und wir verabreden, zumindest ein Stück gemeinsam zu gehen.

Lars ist der erste engere Kontakt, den ich auf meinem Weg knüpfe.
Im Hotel in Hochfügen und während der Zugfahrt nach Mayrhofen habe ich gemerkt, dass sich viele andere Alpenüberquerer mittlerweile kennengelernt und teilweise Wanderfreundschaften geschlossen haben.
Sowas passiert natürlich, wenn man sich immer wieder auf dem Weg begegnet, abends vielleicht die Unterkunft oder das Restaurant teilt und täglich das gleiche Ziel hat. Genau dieses Gemeinsame hat den Jakobsweg für mich so schön gemacht.
Da ich jedoch größtenteils andere Wege genommen habe, ist mir niemand ein zweites Mal begegnet. Die Studierenden aus der Pizzeria in Achenkirch oder das Paar, das mich am Achensee fotografiert hat, sind längst in Sterzing angekommen. Und diejenigen, die mit mir auf der Gufferthütte oder der Erfurter Hütte waren, haben ganz andere Wege genommen.
Meine Erwartung, ganz bestimmt andere Wanderer kennenzulernen, hat sich bisher nicht erfüllt, und spätestens im Pfitscher Tal Richtung St. Jakob verteilt sich ohnehin alles auf verschiedene Unterkünfte.

Zwei unterschiedliche Knödel auf einem weißen Teller, dazu verschiedene Salate.
Knödelduo

Aber es war meine ganz bewusste Entscheidung, den Weg abzuändern und eben nicht im Strom mitzulaufen, deshalb ist es auch okay für mich.
Jedenfalls sind die Gespräche mit Lars ist eine schöne Abwechslung, und nach einem Knödelduo und zwei Bier schlafe ich ein.

Gehzeit mit Pausen: 5:00 Std.
Strecke: 11 km
Höhenmeter: 800 hm auf/ 240 hm ab
Wertung Landschaft: 5/5

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