Meine Alpenüberquerung: Tag 2 – Kreuth-Gufferthütte

Im Hintergrund ein Bergpanorama, im Vordergrund ein hellblauer Kreis mit dem Text:
Alpenüberquerung Tegernsee-Sterzing
Tag 2 Kreuth-Gufferthütte

Freitag, 28. Juni

Am Morgen erwache ich schon einige Zeit vor dem Wecker, bleibe aber noch liegen und lausche in meinen Körper hinein. Zwickt das Knie? Was machen Oberschenkel und Waden? Ich kann nicht unterscheiden, ob ich wirklich eine Änderung spüre oder ob ich sie mir einbilde.
Um sieben Uhr stehe ich endgültig auf. Meinen Rucksack möchte ich schon vor dem Frühstück packen, doch auf dem Balkon stelle ich fest, dass meine Klamotten von gestern noch feucht sind. Dann muss ich sie wohl am Abend auf der Gufferthütte wieder aufhängen.
Im Frühstücksraum erwarten mich ein Brötchenkorb und ein Buffet mit selbstgemachten Leckereien wie Marmelade, Honig oder verschiedene Käsesorten.
Als mich die nette Wirtin ermuntert, noch eine Brezel für unterwegs mitzunehmen, greife ich erfreut zu.

Wildbad Kreuth

Mein Weg beginnt am Wanderparkplatz „Wildbad Kreuth“.
Eine Gruppe von etwa 10 Personen macht sich für eine Wanderung bereit, sie lachen und verbreiten gute Laune. Welches Ziel sie wohl haben? Die Gufferthütte, so wie ich? Oder die Blaubergalm? Oder etwas ganz anderes?
Zuerst überquere ich einen kleinen Bach und stehe dann etwas ratlos vor einem Wegweiser.
Es gibt zwei Wege zur Gufferthütte – einmal rechts entlang in sechs Stunden, einmal links entlang in fünfeinhalb Stunden. Da es links herum kürzer zu sein scheint, nehme ich also den linken Weg.

Sechs gelbe Wegweiser hängen an einem Baum.
Drei zeigen nach rechts, drei nach links.
Darauf stehen unterschiedliche Wanderziele und die Gehzeiten.
Die Qual der Wahl


Zuerst bleibt es flach und ich wandere durch Wiesen und Wäldchen, vorbei an der Königlichen Fischzucht und der Almwirtschaft Siebenhütten, die momentan allerdings geschlossen hat. Aber für eine Einkehr ist es mir ohnehin noch zu früh.
Kurz hinter den Teichen der Fischzucht biege ich rechts in den Kiem-Pauli-Weg ein.
Der Weg führt moderat bergan, ich laufe durch ein schattiges Wäldchen und ärgere mich mal wieder, dass ich mir keine Geocaching-App aufs Handy geladen habe. Dieses Stück Natur lädt einfach zum Verstecken und Suchen ein!
Ab und zu öffnet sich der Blick durch die Bäume und ich sehe den gegenüberliegenden Bergrücken. Ob da schon Österreich liegt?
Unter mir erkenne ich eine Art Schlucht, mittlerweile bin ich also schon ein ganzes Stück nach oben gekommen und mir ist ordentlich warm.
Doch kurz vor der Hohlenstein-Alm ist es mit der moderaten Steigung vorbei, jetzt geht es erstmal steil bergauf. Der Weg ist allerdings breit, sodass ich knieschonend im Zickzack laufe.

Eine niedrige, langgezogene Berghütte aus dunklem, verwittertem Holz auf einer eingezäunten Wiese.
Nicht die Gufferthütte

Der Zwieselgraben

Mittlerweile ist es halb elf und die Sonne knallt vom Himmel, meine lange Hose ist viel zu warm und ich schwitze. Ich habe Angst, dass mein Wasser nicht reicht, wenn ich sowieso alles wieder ausschwitze. Also mache ich an einem großen Stein neben einer Bachquerung Halt und schaue mich um.
Ich habe schon ewig keine anderen Menschen mehr gesehen, das Paar aus dem schattigen Wäldchen hat offensichtlich einen anderen Weg genommen. Auch von oben kommt niemand (sollte mich diese Einsamkeit eigentlich beunruhigen?). Also ziehe ich mich kurzerhand um und laufe in Wandershorts weiter.
Was für eine Befreiung!
Und wieder geht es in ein Wäldchen und wieder bergauf.
Zwischendurch quere ich erneut den Bach und betrete ein großes Waldstück.
„Gufferthütte 4 h“, lese ich auf dem Schild. Uff. Das ist ja immer noch ganz schön weit!
Demnach habe ich für den bisher gegangenen Teil fast zwei Stunden statt der angegebenen eineinhalb gebraucht.
Aber ich weiß ja, dass ich für die meisten Zeitangaben auf den Schildern zu langsam bin und rechne mir lieber nicht aus, wie lange ich wohl noch brauchen werde.

Ein gelber Wegweiser an einem Baum. Er zeigt nach oben, darauf steht: Halserspitz 3,5 h, Gufferthütte 4 h
Ich wäre gerne schon weiter

Das Waldstück heißt zwar Zwieselgraben, aber von einem Bach ist nichts zu sehen. Aufgetürmte Steine, Stämme und Zweige zeigen jedoch, dass das Wasser zumindest zeitweise mit ziemlicher Kraft hier runterrauscht.
Aber wo muss ich jetzt langgehen? Einen Weg kann ich jedenfalls nicht erkennen, obwohl meine Wanderapp mir einen anzeigt.
Da entdecke ich niedrige, rot gestrichene Pfosten in dem Steilstück vor mir.
Mir klappt die Kinnlade nach unten und ich setze mich erstmal auf einen Felsen.
Dass der Weg soo steil wird, hatte ich nicht erwartet. In Serpentinen schlängelt sich der schmale, kaum sichtbare Pfad durch Gestrüpp und Gebüsch und von hier unten ist kein Ende zu sehen.
Ich trinke einen Schluck Wasser, stecke mir ein paar Nüsse in die Hosentasche und mache mich an den Aufstieg.
Es ist mühsam, es ist zäh, ich mache wegen der Serpentinen kaum Höhe – aber immerhin ist es hier im Wald einigermaßen kühl.
Immer wieder bleibe ich stehen, suche die nächsten roten Pfosten über mir und schaue gelegentlich zurück. „Mühsam ernährt sich das Eichhörnchen“, denke ich und gehe weiter.
Dass mir auf dem schmalen Trampelpfad jemand entgegenkommt oder mich überholen will, schließe ich mittlerweile aus. Hier ist niemand außer mir – und hoffentlich auch keine großen Tiere!
Vorsichtig nehme ich die Trillerpfeife von meinem Rucksack und blase leicht hinein. Sie funktioniert. Trotzdem bin ich froh, dass ich ganz passabel mit den Fingern pfeifen kann.
Man weiß ja nie.

Ich weiß nicht, wie lange ich mich durch den Zwieselgraben gekämpft habe (vermutlich auch wieder länger als angegeben), doch irgendwann erreiche ich endlich eine freie Fläche – nur, um zu sehen, dass ich immer noch nicht oben bin.
Jetzt muss ich auch noch über Wurzelwerk klettern, wofür ich teilweise die Hände brauche. Stellenweise ist es so steil, als würde ich eine Leiter erklimmen. Hoffentlich zieht mich mein Rucksack nicht nach hinten! Ich traue mich kaum, nach unten zu schauen.
Von oben kommt fröhlich ein weißhaariger Mann und hüpft gazellengleich nach unten. Schnaufend und schwitzend bleibe ich stehen und lasse ihn an mir vorüberspringen.
Nun gut, er hüpft gar nicht, ist aber erheblich schneller als ich. Meine Wanderapp springt immer wieder in den Pausenmodus, weil ich so langsam bin.
Kein Wunder, war die Steigung in der letzten halben Stunde doch zwischen 28 und 30 Prozent groß!
(Das ist tatsächlich sehr steil.)

Ein schmaler Pfad auf einer Wiese, am Hang stehen zwei große Nadelbäume, daneben eine kleine Berghütte.
Links sieht man Berge hinter dem Hang.
Es ist bewölkt.
Auch nicht die Gufferthütte

Eine Gratwanderung

Nach insgesamt 5 Kilometern – die mir erheblich länger vorkommen! – erreiche ich den Weissenbachkopf (1352 m). Hier mache ich erstmal eine Mittagspause, esse die Brezel vom Frühstück und ein paar Nüsse. Meine Güte, war das ein Kampf. Aber ich habe es geschafft! Um meine Freude mit jemandem zu teilen, mache ich Fotos von dem schönen Hochplateau, um sie meiner Familie zu schicken.
Doch leider habe ich kein Netz. Weder Telefon noch Internet.
Schade! Dann schicke ich die Bilder eben am Abend aus der Gufferthütte.
Hier oben ist es merklich kühler als unten im Tal und ich fange an zu frösteln. Also schnalle ich mir meinen Rucksack wieder auf und ergreife meine Wanderstöcke.
Doch wo ist meine Sonnenbrille? Ich taste alles ab, suche den Boden rund um meinen Rastplatz ab und ein Stück des Weges.
Nichts. Keine Sonnenbrille.
Tja, die liegt vermutlich irgendwo im Zwieselgraben. Als mir der gazellengleiche Senior entgegenkam, habe ich meinen Hut abgesetzt, weil es darunter so warm war. Wahrscheinlich ist sie mir da vom Hut gerutscht, ohne dass ich es gemerkt habe.
Dann muss ich mir wohl spätestens am Achensee eine neue kaufen.
Also geht es erstmal ohne Augenschutz weiter.
Der Weg ist nicht mehr so steil, zumindest nicht mehr über so eine lange Distanz, und es ist ein angenehmes Auf und Ab durch Wälder und über Wiesen.
Die Landschaft hier in der Höhe gefällt mir gut, die Bäume, die Wiesenpflanzen – alles ist ein klein wenig anders als im Tal. Und es ist still. Nicht einmal Insekten oder Vögel sind zu hören, nur das Knirschen meiner Schritte und das Rascheln meiner Kleidung.

Eine Hangwiese, bestanden mit Nadelbäumen, im Hintergrund heben sich blau die Berge empor.
Leicht wolkiger Himmel.
Toller Blick vom Pausenplatz

Es geht noch einmal ein Stück nach oben und ich brauche erneut meine Hände. Doch auf dem Grat werde ich mit einem grandiosen Rundumblick belohnt. Mein Handy rappelt und heißt mich in Österreich willkommen.
Schade, dass es hier kein Grenzschild gibt. Ich hätte gern ein Foto davon für meine Sammlung gehabt.
Vor mir erhebt sich die Halserspitz, deren nördliche Flanke ich queren muss.
Angeblich ist es bis zur Gufferthütte nur noch eine Stunde, ich bin aber skeptisch. Mittlerweile bin ich mit Pausen schon fünfeinhalb Stunden unterwegs, es fühlt sich aber deutlich länger an. Aber diese Stunde schaffe ich auch noch!

Auf dem Grat vor der Halserspitz

Nach der Passage des Nordhangs der Halserspitz geht es zwischen Steinen, Fels und niedrigem Gestrüpp weiter und ich muss mich gut konzentrieren. Die Stöcke nehme ich in eine Hand, die kann ich hier nicht gebrauchen. Dafür ist der Weg zu schmal und die Gefahr zu groß, damit in einer Lücke zwischen dem Gestein zu landen.
Mein Knie zwickt mittlerweile ziemlich und ich freue mich schon auf mein Bett in der Gufferthütte!
Weil ich mir nicht vorstellen kann, mit Fremden ein kleines Zimmer zu teilen, habe ich mich für das Matratzenlager entschieden. In einem großen Raum erscheint mir das Schlafen mit anderen weniger intim und persönlich als in einem engen Zimmer, und bisher habe ich auf jeder Hütte eine eigene Nische für mich gehabt.

Die Bayrische Wildalm

Vor mir öffnet sich plötzlich eine weite Ebene und ich bleibe überrascht stehen.
Ich komme mir vor wie in einer Filmkulisse!
Ein Schild verrät mir, dass das die „Bayrische Wildalm“ ist. Es ist wunderschön hier!
Ein paar Gehminuten später entdecke ich tatsächlich ein Geländefahrzeug mit Miesbacher Kennzeichen (Tegernsee). Ich bin ein bisschen enttäuscht, dass man diesen wunderbaren Ort auch mit dem Auto erreichen kann. Andererseits: Wie soll man ihn sonst bewirtschaften?
Mittlerweile sind die Beine ziemlich schwer, ich schwitze ohne Ende und habe kurz vor der Wildalm den letzten Rest Wasser getrunken. Die 1,5 Liter waren für diesen Weg und bei diesem Wetter offensichtlich zu wenig. Hoffentlich ist der Weg jetzt nicht mehr allzu weit!

Ein großes, grasbewachsenes Plateau, im Hintergrund ein großer Berg, die Halserspitz.
Am Rand des Plateaus stehen Nadelbäume, am Fuße des Berges eine Almhütte.
Überraschende Aussicht auf die Bayrische Wildalm

Endlich – die Gufferthütte!

Auf einem Fahrweg geht es leicht bergab, und hinter einem Hügel entdecke ich einen großen Schuppen und endlich auch das Dach der Gufferthütte!
Interessant, welche Reserven mein Körper da gerade anzapft, aber ich komme viel schneller voran als in den letzten zwei Stunden. Kurz denke ich an den gazellengleichen Senior aus dem Zwieselgraben.
Völlig verschwitzt, keuchend und mit schweren Beinen erreiche ich endlich die Terrasse der Gufferthütte und lasse mich im Schatten nieder.
Sofort kommt jemand, und ich kann mich anmelden, das Abendessen auswählen und ich bestelle ein großes Glas Rhabarberschorle. Kaum steht das Glas vor mir, ist es auch schon wieder leer und ich bestelle direkt ein zweites.
In diesem Moment ist es das leckerste Getränk, das ich jemals zu mir genommen habe.

Ein großes Glas Rhabarberschorle steht auf einem alten Holztisch. Ein blauer Rucksack steht auf der Bank gegenüber. Im Hintergrund sieht man den Eingang einer Alpenhütte., die Fenster haben grüne Fensterläden.
Das ist sie: die Gufferthütte!

Zu meiner Überraschung entdecke ich sogar bekannte Gesichter: die Gruppe vom Wanderparkplatz am Wildbad Kreuth. Sie haben zwei unterschiedliche Wege genommen: einen mit Klettereinlage und einen einfachen, hundefreundlichen.
Wir teilen uns das Bettenlager und ich bin froh, Ohropax und Schlafbrille dabei zu haben. Im Gegensatz zu Einzelgästen sind Gruppen auf Hütten meistens laut, und auch diese hier macht keine Ausnahme.
Aber ich bin so erschöpft, dass ich mich bald nach Dusche und Abendessen zurückziehe, noch ein wenig lese und dann einschlafe.

Ein holzvertäfelter Raum mit mehreren Schlafnischen für jeweils zwei Personen.
Auf den grauen Bettlaken liegen rote Alpenvereinsdecken und rot-weiß-karierte Kopfkissen.
Das Bettenlager in der Gufferthütte

Gehzeit inkl. Pausen: ca. 6,5 Std.
Strecke: 10 km
Höhenmeter: 890 hm auf/ 240 hm ab
Wertung Landschaft: 5/5

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