Meine Alpenüberquerung: Tag 5 – Erfurter Hütte-Baumannwiesköpfl

Blick auf einen schmalen Pfad im Wald, links geht es steil nach unten.

Montag, 01. Juli

Die Nacht in dem großen Bettenlager der Erfurter Hütte war ruhig. Außer dem Pärchen auf der anderen Seite der Holzwand kam niemand mehr dazu und ich hatte meine Nische für mich alleine.

Nach dem Frühstück nehme ich eine der ersten Gondeln nach unten.
Wieder bin ich alleine mit dem Gondelschaffner in der Kabine und wir sprechen über das gestrige Unwetter. Für ihn gehört sowas zwar nicht zum Alltag, kommt aber immer wieder vor. Für mich war es ein besonderes Erlebnis, vor allem der unfassbare Lärm vom prasselnden Hagel auf dem Blechdach.
Vom Achensee ist bei der Fahrt wenig zu sehen, graue Wolken hängen tief über dem See. Nur ab und zu blitzt ein wenig Hellblau durch das dunkle Grau.
Auch der Wetterbericht verspricht mir keine Sonne.
Deshalb ist mein Rucksack mal wieder in seine orangefarbene Regenhülle gepackt, ich trage Regenjacke und Hut und meine Bauchtasche steckt in einem Gefrierbeutel (ein kostengünstiger Regenschutz, man muss nur den Boden aufschneiden und kann dann die Bauchtasche durchschieben).
Meine Regenhose liegt zu Hause. Einerseits habe ich natürlich auf besseres Wetter gehofft, andererseits trocknet meine Wanderhose schnell, falls sie nass wird.

Eine gelbe Kirche mit hohem Uhrturm steht auf einer Wiese. Im Hintergrund sieht man Berge und dunkle Regenwolken. Man sieht, dass es regnet.
Die Notburgakirche in Eben

Kaum bin ich in dem Waldstück neben der Straße, dem Notburgasteig, fängt es an zu regnen. Na super.
An der Notburgakirche in Eben mache ich Halt, korrigiere noch einmal den Sitz meiner Regenkleidung und laufe erstmal planlos hin und her, bis ich endlich den Weg finde.

Regen – und ein Kaffee in Jenbach

Auf einem teilweise ziemlich schmalen Kreuzweg durch den Wald geht es hinunter nach Wiesing und weiter nach Jenbach, immer an der Strecke der Zahnradbahn entlang. Durch den vielen Regen ist es nass und rutschig und ich muss mich gut konzentrieren.
Der offizielle Weg der Alpenüberquerung Tegernsee-Sterzing sieht vor, von Maurach über Jenbach bis nach Fügen im Zillertal mit eben jener Zahnradbahn (oder dem Bus) zu fahren. Das ist bestimmt ein Erlebnis, aber ich möchte diese Etappe lieber laufen, auch wenn ich dadurch einen weiteren Tag länger unterwegs bin.
Als ich in Jenbach ankomme, muss ich zuerst durch ein Wohngebiet laufen. Zum Glück hat es aufgehört zu regnen und ich kann meine Regenjacke wieder ausziehen. Obwohl sie atmungsaktiv sein soll, bin ich klatschnass. Ich möchte lieber nicht wissen, ob das Regen oder Schweiß ist, sondern will mich einfach nur wieder frei fühlen.

Mittlerweile ist es Mittag und ich frage mich in Jenbach zu einem Café durch.
Das liegt zum Glück gleich neben einem Supermarkt und ich kaufe neue Müsliriegel und Obst. Die Pause bei Kaffee und Gebäck tut gut und ich blicke leicht mulmig auf den Bergrücken vor mir.
Es sind die Tuxer Alpen, dahinter befinden sich die Zillertaler Alpen und damit der Alpenhauptkamm. Von hier aus sieht es noch nicht so wild aus, trotzdem muss ich erstmal das Inntal verlassen und wieder in die Berge kommen.
Und zwar heute noch!
Hoffentlich irrt sich der Wetterbericht und es bleibt trocken …

Eine Holzbrücke mit einem Holzdach führt über einen Fluss. In der Mitte der Brücke hängt ein Holzschild mit der Aufschrift "Ohne Brugge übern Yn St. Nothburg 1265-1313". Darüber eine Schnitzerei mit einem Wagen, der von einem Ochsen gezogen wird.
Die Brücke über den Inn – beinahe die Hälfte der Alpenüberquerung ist geschafft!

Eine Stunde später überquere ich den Inn.
Der Fluss markiert fast die Hälfte meiner gesamten Tour, also mache ich Fotos und schicke meiner Familie eine Nachricht. Die Glückwünsche machen mich stolz und mir wird deutlich, was ich schon alles geschafft habe, auch wenn es sich noch gar nicht so anfühlt.
Hinter dem Inn geht es direkt ordentlich nach oben.

Hindernisse

Mein Ziel ist der Alpengasthof Baumannwiesköpfl oberhalb von Schlitters im Zillertal. Es gibt mehrere Wege mit unterschiedlichen Schwierigkeitsgraden dorthin. Ich entscheide mich für den Weg übers Schrofenmarterl. Der soll schön sein und nicht besonders schwierig.
Der Weg nach oben führt über eine asphaltierte Straße und ist ermüdend langweilig, sodass ich mich freue, als es endlich nach rechts in einen Waldweg geht.
Doch was ist das? Ein handgeschriebenes Verbotsschild?
Ich schaue mich um. Vor mir geht ein älteres Ehepaar spazieren. Ich vermute, dass es Einheimische sind, und entscheide mich deshalb, das provisorische Verbotsschild ebenfalls zu ignorieren.
Ein Naturpfad im Wald – das ist genau das, was ich jetzt brauche!
Leider ist es immer noch stark bewölkt und ich befürchte, dass ich oben nicht viel von der Landschaft sehen werde. Schade!

Zehn Minuten später stehe ich vor dem nächsten, ähnlich improvisiert wirkenden Verbotsschild.
Immerhin gibt es eine zeitliche Begrenzung, nämlich vom 15.01.-15.05.
Nun gut, das ist jetzt sechs Wochen her. Bestimmt hat jemand vergessen, die Schilder zu entfernen. Jedenfalls bin ich froh, das erste Verbotsschild ignoriert zu haben – offenbar kommt man ja trotzdem durch.
Ich gehe also weiter bergauf – bis ich vor einer riesigen Wegsperrung aus schwerem Drahtseil stehe. Okay, das ist eindeutig.
Genervt gehe ich wieder zurück und ärgere mich über die verlorene Zeit und die unnötig verbrauchte Energie.
Doch wie heißt es so schön?
Aufstehen, Krone richten, weitergehen.

Also mache ich erstmal eine Pause und suche mir mithilfe von Karten und meiner Wanderapp einen neuen Weg zum Baumannwiesköpfl.
Ich finde eine Straße. Das ist nicht die schönste Lösung, aber wohl die sicherste. Wer weiß, was sich hinter dem harmlosen Grün auf den Karten verbirgt!
Ich folge der relativ steilen Straße und schaue regelmäßig zurück ins Inntal. Hinter Jenbach erhebt sich der Rofan. Wow, da oben habe ich heute gefrühstückt!
Mir kommt es vor, als läge mindestens ein Tag dazwischen.

Die Landschaft hat sich verändert und das Inntal ermöglicht interessante Weitblicke. Zu meiner Linken geht es manchmal so steil hinab, dass ich froh bin, hier nicht mit dem Auto langzufahren.
Und jetzt fängt es auch noch an zu regnen!
In einer Haltebucht in einer Straßenkehre krame ich meine Regensachen wieder hervor und quäle mich weiter nach oben.
Es regnet in Strömen, ich laufe – nein, ich keuche! – eine asphaltierte, steile Serpentinen-Straße einen Berg hinauf und habe keine Ahnung, wie weit ich noch laufen muss. An manchen Stellen hängen die Felsen tief über der Straße und ich gehe langsam um die Kehren herum, immer auf Fahrzeuge achtend.
Die Griffe meiner Stöcke sind rutschig, meine Hände werden kalt, die Hose klebt an den Oberschenkeln und ich schwitze in meiner Regenjacke.
Logisch, dass mir bei diesem Wetter und auf diesem Weg keine Fußgänger begegnen. Selbst Fahrzeuge fahren hier kaum.

Im Vordergrund steht ein typisches Alpenhaus, dahinter erstreckt sich ein breites Tal und auf der gegenüberliegenden Seite ein hoher Bergrücken. Dicke graue Wolken verschleiern die Sicht, man sieht, dass es regnet.
Der Eingang vom Zillertal

Dieser Weg ist definitiv der Tiefpunkt meiner bisherigen Wanderung.
Mühsam ernährt sich das Eichhörnchen, und mühsam quäle auch ich mich nach oben.
Irgendwann muss ich die Straße verlassen, nur um dann auf einer anderen Straße wieder bergab zu laufen. Bin ich wirklich noch richtig? Mein Ziel liegt eigentlich rechts oberhalb von mir, warum muss ich jetzt links nach unten gehen? Ist mein Handy nass geworden und zeigt mir den falschen Weg?
Ich kontrolliere mehrmals, aber ich scheine noch auf dem richtigen Weg zu sein. Mittlerweile geht es nicht mehr nach unten und auch wieder in südliche Richtung. Ich passiere einen abgelegenen Weiler.
Es regnet noch immer und weit und breit sehe ich keine Menschen. Tiere übrigens auch nicht, aber die haben sich bei dem Wetter bestimmt irgendwo verkrochen.

Bei Regen durch das Öxlbachtal

Endlich entdecke ich die ersten Schilder zum Baumannwiesköpfl!
Unter mir liegt das Zillertal. Ab und zu kann ich einen Blick auf den breiten Taleingang erhaschen, aber meist sehe ich zwischen den dichten Wolken nur das, was sich unmittelbar in meiner Nähe befindet.
45 Minuten Gehzeit – endlich!
Meine Schuhe quietschen mittlerweile vor Nässe. Keine Ahnung, wie ich die bis morgen trocken bekommen soll … Und hoffentlich laufe ich mir mit den nassen Socken keine Blasen!

Ich denke an den Marsch durch den Zwieselgraben zur Gufferthütte und schwanke, ob ich lieber bei glühender Hitze oder bei strömendem Regen wandern möchte. Ich bleibe unentschlossen, mir gefällt beides nicht.
Der Weg führt mich in ein Waldstück und wird zu einem schmalen Pfad. Er erinnert mich an den Kreuzweg am Vormittag (war das wirklich heute und nicht gestern? Mittlerweile komme ich ganz durcheinander) und ist genauso rutschig.
Hier ist also wieder Konzentration gefragt.
Aber im Gegensatz zum Vormittag habe ich schon ein paar Höhenmeter in den Beinen, meine Klamotten sind klatschnass, die Schuhe auch – und wegen des ekligen Wetters habe ich seit dem Cafébesuch in Jenbach auch keine Pause mehr gemacht.
Ich sollte also dringend etwas Trinken und wenigstens ein paar Nüsse essen.

Da ich ohnehin komplett durchgeweicht bin, kann ich mich auch auf einen der glitschigen Felsblöcke setzen. Doch entspannend ist hier nichts, denn mit den nassen Händen bekomme ich den Rucksack kaum auf, und kalt wird mir außerdem.
Also trinke ich schnell und schnalle den Rucksack wieder auf den Rücken. Den Müsliriegel muss ich mit den Zähnen öffnen, weil meine schrumpeligen Finger an der Folie abrutschen.
Wie lange noch? Mein Handydisplay ist nass, die Brille auch, und ich kann die kleine Anzeige nicht lesen. Egal. Hauptsache, ich komme irgendwann mal an.
Der Weg wird steiler, der Abhang neben mir auch.

Mir war nicht bewusst gewesen, dass ich durch eine Schlucht gehen muss. Im Wanderführer stand nichts dergleichen, auch nicht im Internet. Bevor ich mich bei der Planung für diese Etappe entschieden habe, habe ich mich eingehend informiert, doch das klang alles völlig unkritisch.
Aber vermutlich geht hier auch kaum jemand bei Sauwetter durch.
An einer Stelle ist der Weg beinahe weggespült und ich bekomme Herzklopfen. Hoffentlich ist der weitere Weg passierbar – nicht auszudenken, wenn ich den ganzen Weg wieder zurückgehen muss!
Ich blicke nach hinten und muss schlucken. Wenn man aus der anderen Richtung kommt, sieht man die Abhänge viel deutlicher!
Gestern habe ich noch über meine orangefarbene Rucksackhülle gescherzt, heute bin ich froh, sie zu haben.
Sollte ich hier irgendwo abstürzen, wird man zumindest den Rucksack finden.

Ein sehr schmaler Weg im Wald, links geht es einen Abhang hinunter. Er ist mit einem Metallgeländer und Balken gesichert. Das Foto ist wegen der nassen Linse verschwommen.
Durch den Regen ist die Linse nass und der Weg teilweise abgerutscht

Mit wackligen Beinen gehe ich weiter, den Blick immer nach vorn gerichtet.
Plötzlich habe ich Angst, dass mir jemand entgegenkommt. Hier passen keine zwei Leute nebeneinander! Es ist noch viel schmaler als auf dem Mariensteig.
Hoffentlich hält der Regen andere Wanderer ab – denn überholt werden möchte ich auch nicht!
Immer, wenn ich denke, dass der Weg vorne wieder breiter wird, kommt eine Kurve und er wird wieder eng und steil.
Und dann stehe ich plötzlich auf einer Wiese.
Irritiert bleibe ich stehen, dann entdecke ich ein Gebäude rechts oberhalb von mir.
Das Baumannwiesköpfl!
Die letzten Meter laufen sich fast von selbst, und erschöpft und völlig durchnässt erreiche den Gasthof.

Im Baumannwiesköpfl

„Da sind Sie ja endlich! Ich habe schon auf Sie gewartet!“, werde ich, natürlich im Zillertaler Dialekt, von der Hausherrin erwartet.
Ich bin offensichtlich der einzige Gast, und die Familie ist in der Küche versammelt, während ich im Flur alles volltropfe. Trotzdem fühle ich mich willkommen.
Die Wirtin führt mich zu meinem Zimmer und gibt mir die Speisekarte, damit ich mir schon einmal etwas zu Essen aussuchen kann.
Ich bin nicht abergläubisch, aber zu diesem Moment passt ein Spruch vom Jakobsweg: Der Weg gibt dir, was du brauchst.
Und die Wirtin vom Baumannwiesköpfl ist ein solches Geschenk. Sie bietet mir an, meine nassen Klamotten zu waschen und zu trocknen, macht mir ein ganz leckeres Schnitzel und gibt mir wirklich alles, was ich in diesem Moment brauche – ungefragt und mit offener Herzlichkeit.
Große Dankbarkeit durchströmt mich und plötzlich fühlt sich auch der regennasse und mental harte Tag wieder gut an.
Für so etwas liebe ich lange Wanderungen!

Erschöpft und sehr zufrieden schlafe ich ein.

Auf einem weißen quadratischen Teller liegen frittierte Kartoffelspalten und Champignons in einer Cremesoße. Daneben steht ein kleiner gemischter Beilagensalat. Auch ein Glas Bier und ein kleines Schnapsglas stehen auf dem Tisch.
Essen für Leib und Seele

Gehzeit mit Pausen: 06:30 Std.
Strecke: 15 km
Höhenmeter: 640 hm auf/ 520 hm ab
Wertung Landschaft: 3/5

Hier geht es weiter:

Im Hintergrund ein Bergpanorama mit Nebel und Regenwolken, im Vordergrund ein hellblauer Kreis mit dem Text: Alpenüberquerung Tegernsee-Sterzing Tag 6 Baumannwiesköpfl-Hochfügen

Alpenüberquerung Tegernsee-Sterzing
Tag 6: Baumannwiesköpfl-Hochfügen

VÖ geplant für 31.03.25

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