Meine Alpenüberquerung: Tag 6 – Baumannwiesköpfl-Hochfügen

Im Hintergrund ein Bergpanorama mit Nebel und Regenwolken, im Vordergrund ein hellblauer Kreis mit dem Text: Alpenüberquerung Tegernsee-Sterzing Tag 6 Baumannwiesköpfl-Hochfügen

Dienstag, 02. Juli

Der heutige Tag wird mich über das Spieljoch bis nach Hochfügen, den populären Skiort im Zillertal, führen.
Da mir ein paar Kilometer bevorstehen, stehe ich zeitig auf und gehe um 7.30 Uhr nach unten zum Frühstück. Der Tisch im Gastraum des Baumannwiesköpfls ist reichlich gedeckt, es riecht nach frischem Kaffee und Rührei. Doch beinahe noch schöner als die Leckereien auf dem Tisch ist der Kleiderstapel auf der Eckbank.
Meine verschwitzte und schmutzige Kleidung von gestern – gewaschen und getrocknet!
Ich bin der Wirtin sehr dankbar und es tut mir fast leid, dass ich so schnell wieder weitermuss.
Beim Abschied erzählt sie mir, dass es vorgestern bei dem Unwetter einen Murenabgang am Achensee gegeben habe. Die Straße war vorübergehend gesperrt und auch der Mariensteig/Gaisalmsteig war betroffen.
Puh, zum Glück hatte ich mich beeilt, um rechtzeitig vor dem Unwetter auf der Erfurter Hütte zu sein!

Wolken

Heute ist es zwar trocken, aber immer noch stark bewölkt. Doch die Regenwahrscheinlichkeit ist laut Wetterapp geringer als gestern. Na immerhin!
Auf einer Straße und einem breiten Forstweg geht es in anfangs leichtem, später stärkerem Auf und Ab in Richtung Kohleralmhof oberhalb von Fügen. Dort befindet sich die Mittelstation der Spieljochbahn.
Natürlich hatte ich überlegt, ob ich bis aufs Spieljoch laufen oder lieber die Bahn nehmen soll, aber mein Knie hat mir die Entscheidung abgenommen. Die Wanderung macht sich immer stärker bemerkbar, auch wenn sich der Schmerz in Grenzen hält. Aber ich muss es ja nicht übertreiben.
Unter mir liegt das Zillertal, von dem ich ab und zu sogar etwas sehe.
Im Großen und Ganzen ist es jedoch ziemlich bewölkt und der erhoffte Fernblick fällt aus.
Eine Freundin war zwei Wochen vorher mit dem Wohnmobil im Zillertal. Vielleicht frage ich sie einfach nach Fotos und schaue mir das Zillertal hinterher auf Bildern an, denke ich mir, während ich durch die Nebelwand – oder sind es Wolken? – stapfe.

Blick von oben über ein breites bebautes Tal. Die Wolken hängen tief und zwischen den Wolken erkennt man die Berge.
Blick ins vordere Zillertal

Mit der Spieljochbahn fahre ich von der Mittelstation in wenigen Minuten hoch zur Bergstation.
Oben angekommen, gehe ich erstmal für ein Spiegelselfie zum Waschraum. Als Alleinreisende muss man kreativ sein!
Erwartungsvoll verlasse ich das Gebäude der Bergstation – und kehre direkt wieder um.
Puh, ist das kalt da draußen!
Endlich zahlt es sich einmal aus, dass ich all meine Klamotten mit mir herumtrage. Ich ziehe mir also eine Jacke an, wickle einen Schlauchschal gegen die Kälte um den Hals und den zweiten, in neongelb und mit Reflektoren versehen, für die Sichtbarkeit ums Handgelenk.
Und, klar: Der Rucksack bekommt mal wieder sein orangefarbenes Überkleid.
Ob ich auch irgendwann mal wieder ohne Regenhaube wandern kann?
Also gibt es nur wenige Minuten nach dem ersten Spiegelselfie ein zweites mit wärmeren Klamotten.

Nebel und Kälte

Aber jetzt!
Es ist nicht nur kalt auf dem Spieljoch, sondern auch voll. Weiter oben auf dem Onkeljoch steht sogar schon eine Schlange vor dem Gipfelkreuz, also spare ich mir diesen kleinen Umweg.
Bei dem Nebel würde ich ja sowieso nichts sehen.
Nach einigem Hin und Her rund um die Bergstation finde ich endlich einen Wegweiser mit dem Ü, der mich in Richtung Hochfügen leitet. Ab hier werde ich bis zum Ende meiner Wanderung in Sterzing den „Normalweg“ nehmen.
Dass ich den Weg nicht sofort finde, ist aber eigentlich egal. Das Spieljoch ist mit Wanderwegen auf jeder nur denkbaren Höhe ausgestattet, sodass es im Grunde egal ist, welchen davon ich nach Hochfügen nehme.

Ein ausgestreckter Arm mit einem hellen Ärmel und einem neongelben Tuch am Handgelenk weist mit geöffneter Hand auf Nebel.
Wie Sie sehen, sehen Sie nichts

Da ich nicht oben auf dem an sich viel spannenderen Grat laufe, bin ich alleine unterwegs und stapfe Richtung Hochfügen, ohne dass mir jemand anderes begegnet. Der Weg entpuppt sich als ziemlich langweilig: Es ist neblig und ich habe keine Fernsicht und der breite Wirtschaftsweg bietet keinerlei Abwechslung.
Ab und zu haben die dichten Wolken eine Lücke und ich kann ins Zillertal schauen. Meistens ist es aber trüb und ohne Sonne auch recht kühl.
Gelegentlich zweigen Wege links oder rechts ab, aber ich folge einfach dem breiten Wirtschaftsweg. Irgendwo unterwegs soll es auch Almhöfe geben, aber bei diesem Wetter habe ich keine Lust, einzukehren. Dann laufe ich lieber direkt nach Hochfügen und entspanne ein wenig im Hotel.
Bei der Fußball-EM der Herren spielt Österreich heute gegen die Türkei – vielleicht findet sich ja eine Gelegenheit, das Spiel in Gesellschaft zu schauen, am besten sogar noch in österreichischer!

Schafe und Bruno, der Problembär

Doch erstmal muss ich nach Hochfügen kommen.
Mittlerweile kann ich im Nebel kaum noch etwas sehen. Ich laufe an einer Steinmauer vorbei und stelle mir vor, ich wäre jetzt in Schottland und hinter der Mauer wären Schafe. Wenn man schon nichts sieht, kann man sich wenigstens etwas ausdenken!
Ein weiterer Abzweig erscheint im Dunst. Das Ü auf dem Wegweiser will mich in die Höhe schicken, zu einem schmalen Pfad zwischen Hangwiesen und Alpenrosenbüschen. Das ist bestimmt ein schöner Weg – aber ich kann den weiteren Verlauf nicht sehen und habe ehrlich gesagt auch keine Lust, in die Höhe zu steigen, um dort dann trotzdem nur durch Nebel zu waten.
Also spare ich mir den Aufstieg und bleibe auf dem breiten Weg.

Nebel. Eine niedrige Mauer aus gestapelten Natursteinen ist kaum sichtbar, die Wiese verschwindet im Nebel. Man sieht ein Stück eines breiten Weges und ahnt, dass es hinter der Mauer bergauf geht.
Schottland? Nein, das Zillertal.

Irgendwann erreiche ich eine Wegkreuzung.
„Bruno Bärenweg“ steht auf dem Schild.
Natürlich klingelt es bei Bruno, das war doch der Problembär, oder?
Im Frühsommer 2006 wanderte er aus dem Trentino nach Österreich und tauchte bei seiner Wanderung auch mehrmals in Bayern auf. Dort wurde er sogleich als problematisch angesehen und zum Abschuss freigegeben. Ende Juni 2006 wurde er dann folgerichtig in Bayern getötet und kann seitdem ausgestopft bewundert werden – natürlich in Bayern.
Hier im Zillertal hat er ebenfalls mehrmals Station gemacht, u.a. auch auf dem Gebiet der Gartalm, wo ich mich gerade befinde. Der Wanderweg folgt seinen Spuren und ich mache mich ebenfalls daran, durch das umzäunte Ziegen- und Ponygehege zu gehen.
Mit dem schweren Rucksack komme ich mir ein bisschen vor wie ein Bär, zumindest was die Eleganz meiner Bewegungen angeht.

Ein Holzschild an einem Nadelbaum mit dem Text: Ein Bär auf den Spuren seiner Ahnen Bär Bruno, stammend aus dem Trentino, wanderte am 30.Mai 2006 von Bayern kommend übers Spieljoch, hierher zum Gartalm-Hochleger. Bestätigt von Experten des WWF durch gefundene Haare und Kratzer an der Hüttenwand. Die Spuren führten weiter bergab Richtung Gartalm-Niederleger.
Ob sich Bruno der Problembär an diesem Baum gerieben hat?

Noch mehr Tiere

Von dem „Normalweg“, den ich ja eigentlich gehen wollte, ist hier jedoch nichts zu sehen. Der führt viel weiter oben am Berg entlang, und meinem Reiseführer und den Karten zufolge ist es ein schöner, schmaler Weg mit tollen Panoramablicken.
Mir bleibt nur, mich seufzend auf einem viel tiefer gelegenen Weg Richtung Hochfügen zu bewegen.
Immerhin hat es aufgeklart und ich kann mein Ziel in der Ferne sehen.
Der Weg wird scheinbar nicht oft benutzt; Büsche wachsen wild und Bäume liegen quer. Zumindest ist es hier nicht mehr so langweilig, denke ich, als ich ein Rascheln im Gebüsch höre.

Ich bleibe stehen und blicke in das wackelnde Gestrüpp.
Es dauert einen Moment, bis ich erkennen kann, wer das Geräusch verursacht.
Eine Schlange!
Ich beobachte sie fasziniert, während sie sich über die Äste schlängelt. Ist das eine Kreuzotter? Eine Ringelnatter?
Leider kenne ich mich mit Schlangen überhaupt nicht aus, schon gar nicht mit Schlangen im Alpenraum.
Mehr als eine Minute lang hocke ich vor dem Busch und beobachte die Schlange, doch irgendwann ist sie verschwunden und ich gehe weiter.
Ob ich noch eine entdecke? Meine Aufmerksamkeit ist geschärft, immer wieder bleibe ich stehen, um auf Geräusche zu achten. War die Schlange eigentlich giftig? Und was wäre gewesen, wenn sie mich gebissen hätte? Wie hätte ich sie von mir fernhalten können?
So langsam wird mir doch ein wenig mulmig.
Aber ich habe Glück– oder Pech? – und entdecke keine Schlange mehr.

Nahaufnahme eines Gebüschs. Zwischen den Zweigen sieht man den Kopf und Teile des Körpers einer Schlange. Das Muster besteht aus hellem und dunklem Zickzack.
Schlange? Ringelnatter? Kreuzotter?

Nach einiger Zeit komme ich an eine Weggabelung.
Von oben kommen einige Wanderer: allein, zu zweit, in Grüppchen.
Okay, jetzt bin ich wohl definitiv auf dem „Normalweg“ und laufe mit einigen anderen Richtung Hochfügen.
Da es hier weit und breit nichts anderes als die Bettenburg Hochfügen gibt, handelt es sich ganz bestimmt ebenfalls um Alpenüberquerer. Den kleinen Rucksäcken zufolge wandern viele davon mit Gepäckservice.

Hochfügen

Hochfügen selbst ist ein Schock.
Der Ort besteht fast nur aus Beton und Asphalt, ein riesiger Parkplatz deutet an, wie viele Menschen den kleinen Ort in der Skisaison heimsuchen.
Jetzt liegt Hochfügen wie ausgestorben da und die vielen Alpenüberquerer sind wahrscheinlich die einzigen Touristen, die diesen Ort im Sommer besuchen.
Da es sich ohnehin nur um eine Nacht handelt, ist es erträglich.
Aber zum Sommer- oder Wanderurlaub suche ich mir definitiv andere Orte.

Fernblick über ein Hochtal, die Berghänge haben Weiden und Nadelwälder, dazwischen sieht man helle Wege. Am Horizont ist ein weiterer Gebirgszug mit ähnlichem Aussehen. Der Himmel ist bewölkt mit wenigen kleinen hellblauen Lücken.
So sieht Hochfügen noch ganz schön aus

Das Hotel selbst ist hochpreisig, aber es gibt eine Wanderpauschale mit Halbpension.
Mit meinem großen Rucksack und den Bergstiefel fühle ich mich underdressed. Beim Check-In stehen zwar auch viele andere Wanderer, aber nicht wenige von ihnen haben Koffer oder Reisetaschen vom Gepäckservice dabei.
Zum Abendessen kann ich nur Funktionsklamotten tragen, wohingegen viele andere Wandergäste in Alltagskleidung und in passenden Schuhen erscheinen. Erst als drei junge Männer mit olivgrünen Wanderklamotten und schweren Stiefeln ins Restaurant kommen, fühle ich mich nicht mehr so deplaziert.
Beim Essen bin ich wegen des vielen Bestecks und der Reihenfolge verwirrt, aber ich sehe auch, dass ich nicht die Einzige mit dem Problem bin.

Auf einem blauen Teller liegt eine weiße Scheibe cremigen Nachtischs, kunstvoll angerichtet mit Obst und dünnen Soßenstreifen.
Feines Kokosparfait

Im Nebenraum läuft der Fernseher und zwei junge Männer schauen sich ein Fußballspiel an.
Hmm, ich hatte mir ein bisschen mehr Stimmung erhofft, immerhin bin ich doch in Österreich und es geht im Achtelfinale ums Weiterkommen in der EM.
Also gehe ich nach dem Essen nach oben in mein Zimmer, lege mich aufs Bett – und schlafe während des Sieges der Türkei gegen Österreich ein.

Gehzeit mit Pausen: 4:30 Std.
Strecke: 19 km
Höhenmeter: 660 hm auf/ 740 hm ab
Wertung Landschaft: 4/5

Hier geht es weiter:

Teile diesen Beitrag

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert