Interview mit Ricardo Orlando und Melanie Lahmer

Neulich war ich zu Besuch bei Fotograf und Videograf Ricardo Orlando im Studio DiWerk in Netphen. Wir hatten einen ziemlich witzigen Vormittag und Ricardo hinterher ganz schön viel Arbeit, um das Video zu schneiden!

Interview mit Ricardo Orlando im DiWerk

Wenn ihr also schon immer mal wissen wolltet, wie das bei mir mit dem Schreiben und Veröffentlichen so läuft und euch überhaupt mal ein Bild davon machen wollt, wer sich hinter diesem Blog verbirgt – dann schaut euch das Video auf YouTube an!

Nehmt ein bisschen Zeit mit oder lasst es als Podcast ohne Bild laufen – viel Vergnügen mit Ricardo und mir!


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Recherche – Erlebnisse im Zonenrandgebiet

Wie im Nachwort meines neuen Krimis schon erwähnt, habe ich für „Unter der Mauer“ ausführlich recherchiert.
Die Welt ist so spannend, es gibt so viel zu entdecken und herauszufinden, und oft ergeben sich durch die Recherche ganz neue Impulse für die Geschichte oder die Figuren.

Im Hintergrund: Herleshausen

Interzonenzüge

„Unter der Mauer“ hat auch mit mir und meiner eigenen Biografie zu tun. Ich bin im Zonenrandgebiet aufgewachsen, die innerdeutsche Grenze war nur wenige Kilometer entfernt und immer präsent. Mein Heimatort Bebra war einer von sieben Grenzübergängen für Bahnreisende zwischen der DDR und der BRD. Transitreisende mussten in Bebra Halt machen, die Züge wurden umfangreich kontrolliert. Doch von all dem bekamen wir Kinder natürlich nicht viel mit, der Bahnsteig für die Interzonenzüge war nicht so ohne Weiteres für uns zugänglich.

Bebra platzt aus allen Nähten

Da Bebra der erste West-Bahnhof für Reisende aus Thüringen war (also aus Gerstungen, Eisenach, Gotha, Erfurt, Weimar, in der Verlängerung auch Leipzig), platzte unser kleines Städtchen aus allen Nähten. Ich sah Bilder, die sich fest eingebrannt haben und die ich nie wieder vergessen werde.
Ich war gerade fünfzehn geworden, wir hatten Samstagsunterricht, und zusammen mit meiner Freundin wollte ich – wie immer – nach der Schule durch die Stadt nach Hause bummeln.
Doch wir kamen nicht weit. Die Stadt war übervoll mit Menschen – kein Stadtfest vermag so viele Leute in die Stadtmitte zu locken wie dieser erste Samstag nach dem Mauerfall. Es war so eng, dass wir unsere Fahrräder tragen mussten, weil schieben nicht möglich war. Man kam weder vorwärts noch zurück und wir waren völlig geplättet. Natürlich hatten wir vom Mauerfall gehört – aber hier haben wir ihn erlebt.
Es war so unbeschreiblich, dass mir heute noch die passenden Worte fehlen.

Am Folgetag, einem Sonntag, waren außerplanmäßig die Geschäfte geöffnet. Für Fünfzehnjährige aus der Provinz war das in den 1980ern noch spannend genug, um in Erwartung eines Bummels in die Stadt zu gehen.
Nun ja, zu bummeln gab es da nicht mehr viel.
Die Regale im Supermarkt waren bei vielen Artikeln komplett leer geräumt, was ich in diesem Ausmaß weder vorher noch nachher wieder gesehen habe. Es war surreal.
Die Bahnhofsunterführung, normalerweise eine Abkürzung in die Innenstadt, war tagelang nicht passierbar, weil man zwischen all den Menschen überhaupt nicht durchkam. Der reguläre Bahnverkehr fand ja trotzdem statt.

Menschen, die an Zügen hängen

Das krasseste Bild jedoch erlebte ich etwas außerhalb von Bebra.
Die Züge Richtung Gerstungen/Eisenach fuhren in einem Bogen um die Stadt herum, der auch durch den Ortsteil Weiterode führte. Die Schienenführung verlief teilweise oberhalb der Straße, über Brücken.
Ich fuhr gerade mit dem Rad auf der Hauptstraße, als sich von hinten langsam ein Zug näherte. Sehr langsam. Warum?
Weil an diesem Zug Menschen hingen. Außen, auf den Stufen der Zugtüren! Andere quetschten sich an den heruntergelassenen Fenstern, hingen ebenfalls halb draußen. Ein Bild, wie man es aus Filmen und Dokumentationen über z.B. Indien kennt – aber eigentlich undenkbar in unserem mit Regeln und Gesetzen durchorganisierten Land. Und doch war es so.

Im Laufe der Zeit wurde es in Bebra wieder ruhiger, kurz darauf war es klein, gemütlich und schläfrig wie eh und je. Dafür begannen nun wir „Wessis“ unsererseits, den Osten zu erkunden.
Und damit begann für mich die Faszination für die Unterschiede und Gemeinsamkeiten im Leben in der DDR und der BRD.
In „Unter der Mauer“ erzähle ich einen Teil davon.

Na sowas!

Tja – eigentlich wollte ich etwas über meine Recherche erzählen, nicht über meine Kindheit. *lach*
Aber irgendwie gingen beim Schreiben die Pferde mit mir durch, deshalb erzähle ich den anderen Teil eben später …

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„Unter der Mauer“ ist veröffentlicht!

Endlich ist es soweit – die erste Welle meines neuen Krimis ist erschienen!

Eine verschwundene Studentin. Eine unüberwindbare Grenze. Und ein Verbrechen, das mehr als 30 Jahre lang ungesühnt bleibt.
Der neue Siegerland-Krimi.
Nike Klafelds erster Fall

Seit heute könnt ihr das E-Book bei Amazon kaufen (Klick hier), die Taschenbücher sind ab Anfang November erhältlich (ihr werdet es auf jeden Fall erfahren!) und die dritte Welle, die E-Books für alle anderen Reader (also z.B. Tolino), startet dann im Januar 2020.

Bis es auch für die Tolino-Leserinnen und -Leser soweit ist, können die KindleUnlimited-Abonnentinnen loslegen und Nike auf der Suche nach der Vergangenheit begleiten.

Ihr seht also, ich habe an alle gedacht!
:)

Jetzt wünsche ich euch viel Vergnügen beim Lesen!

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Termine, Termine

Es dauert nun wirklich nicht mehr lange, bis „Unter der Mauer“ erscheint!
Die nächsten Lesungs-Termine sind noch in Planung, sobald es konkret wird, sage ich euch Bescheid.
Hier findet ihr schon mal die Termine der nächsten Zeit:

Freitag, 13. September von 14-18 Uhr:
Meet and Greet bei BücherbuyEva in Hilchenbach im Rahmen der Aktion „Heimat shoppen“ – gemeinsam mit anderen Siegerländer Autorinnen, unter anderem Mimi Heeger und Tine Nell

Donnerstag, 10. Oktober von 19-21.30 Uhr:
Vortrag zum Thema Nachhaltigkeit im frei:RAUM in Siegen

An beiden Terminen könnt ihr natürlich auch signierte Bücher erwerben!

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Caminho Portugues – Tag 13

Kap Finisterre

Caminho Portugues - Kap Fisterra - Startbild

Ich verließ die Herberge in Santiago früh, da mir der Weg zum Busbahnhof sehr weit erschien und ich es hasse, zum Bus rennen zu müssen.
Ein wenig desorientiert stand ich kurz darauf bei Nieselregen neben einem Brunnen und starrte auf meine Karte. Ein Mann kam auf mich zu und fragte auf Deutsch, ob er mir helfen könne. »Ich suche den Weg zum Busbahnhof.«
»Alles klar«, antwortete er. »Ich bringe dich hin.« Ich muss wohl ziemlich irritiert geschaut haben, denn er lachte. »Ich bin vorgestern vom Francés gekommen. Da brauche ich sowieso noch Bewegung, sonst bekomme ich muskuläre Probleme. Außerdem möchte ich etwas von dem zurückgeben, das mir der Weg geschenkt hat.«
Freudig nahm ich sein Angebot an. Er brachte mich bis zum Bahnhof und zeigte mir sogar, an welchem Schalter ich mein Ticket bekomme. Wir verabschiedeten uns und er wünschte mir noch eine gute Zeit in Fisterra. Er selbst war schon mehrmals da, weil er regelmäßig den Camino geht.
»Aber meine Freunde halten mich deswegen für verrückt. Dabei müssten sie es nur einmal selbst probieren, dann wüssten sie, warum ich immer wieder gehe.«
Diese Szene zeigt sehr schön, was den Camino so besonders macht – und warum man ihn immer wieder gehen möchte.

Fisterra, das Fischerdorf am Ende der Welt

Fisterra ist ein kleines Fischerdorf auf einer Landzunge im äußersten Westen Spaniens. Die Busfahrt ans Ende der Welt (Fis = Ende, Terra = Erde) war atemberaubend. Von den drei Stunden führten fast zwei an der Atlantikküste entlang. Die Costa de Morte ist unfassbar schön: Berge treffen auf das Meer, es gibt weiße Sandstrände und raue Wellen. Trotzdem ist die Gegend nicht touristisch. Wahrscheinlich interessieren sich die meisten Menschen für Spaniens Südküste und wissen gar nicht, wie toll der Norden ist.
Kaum hielt der Bus in Fisterra, kam eine Frau auf mich zu und fragte, ob ich ein Bett bräuchte. Klar! Ich wusste aus Erzählungen, dass das passieren wird und war froh, mir keine Unterkunft suchen zu müssen. Das würde definitiv meine letzte Nacht in einer Pilgerherberge mit Stockbetten sein, deshalb war ich nicht wählerisch. Am nächsten Tag würde ich die lange Busfahrt bis nach Porto auf mich nehmen, um von dort wieder nach Hause zu fliegen.

Caminho Portugues - Kap Fisterra - der Hafen von Fisterra
Der Hafen von Fisterra

Fisterra empfing uns mit Regenwetter. Trotzdem trank ich am Hafen erstmal einen Kaffee, um nicht nur physisch, sondern auch psychisch anzukommen. In einem Supermarkt holte ich mir Proviant und machte mich auf den Weg zum Kap Finisterre mit dem Leuchtturm. Viele Pilger gehen von Santiago bis Fisterra zu Fuß, so auch Stefan, dem ich letztlich meine Compostela zu verdanken haben. Der Weg ist knapp neunzig Kilometer lang und dauert ca. drei Tage. Es gibt sogar eine eigene Pilgerurkunde extra für den Camino a Fisterra, die Fisterrana.
Unterwegs überholten mich immer wieder voll besetzte Touristenbusse und ich fragte mich, ob Nadine, Silvie und Laura wirklich eine Rundfahrt gebucht oder doch eine andere Möglichkeit gefunden hatten. Oder ob sie überhaupt noch hierher kommen wollten.

Sich selbst und den Camino feiern

Doch so schön Kap Finisterre mit seinen Felsen und dem schäumenden Meer auch für Besucher ist: Der Ort wirkt erst wirklich mystisch, wenn man den Camino gegangen ist.
An dem berühmten 0,00 km-Stein musste ich übrigens für das Foto anstehen. Einige der Bustouristen ließen sich – warum auch immer – mit dem Stein ablichten.
Hinter dem Stein steht der Leuchtturm, dahinter noch ein Kreuz, und dann kommt nur noch das weite Meer.
Ich suchte mir einen ruhiges Eckchen auf den Felsen, holte Brot, Käse, Schinken und Wein hervor und feierte mich und meinen Camino. Der Wind wehte stark, die Wellen schlugen gegen die Felsen, Gischt sprang empor und ich konnte kaum glauben, wie schön die Welt ist. Dieser Planet, unser aller Zuhause. Und wir Menschen mittendrin, die wir uns trotz unserer Winzigkeit so wichtig finden. Aber für die Erde sind wir verzichtbar.

Caminho Portugues - Kap Fisterra - der Null-Kilometer-Stein
Am berühmten 0,00 km-Stein

Wir Individuen sind wichtig für andere Menschen, auch wenn wir es nicht immer spüren. Alle meine Wegbegleiter waren bedeutsam für mich gewesen. Die einen mehr, die anderen weniger. Selbst ein simples »Bon Camino«, ein kleines »Bom Dia«, ein »Obrigada« oder ein »Dias« war ein schönes Zeichen und tat gut. Jedes Lächeln, jedes freundliche Wort und jedes Gespräch hatte eine Bedeutung und machte den Weg leichter und schöner.
Und ich bin mir sicher, dass auch ich für andere Pilger wichtig war. Viele kannten vielleicht nicht einmal meinen Namen, so wie ich nicht von allen den Namen kennen. Kaum jemand wusste von meinem Beruf, aber auch ich weiß nicht, womit die anderen ihren Lebensunterhalt bestreiten. Ich hatte so viele glückliche und gute Momente auf dem Weg und empfinde es als Glück, überhaupt gehen zu können. Den Weg gehen zu können. Mit nur wenig Ballast außer meinem Rucksack.

Caminho Portugues - Kap Fisterra - Pilgerstatue
Pilgerstatue auf dem Weg zum Leuchtturm

Für viele Menschen ist der Jakobsweg ein lang gehegter Wunsch, und für viele wird es auch ein Wunsch bleiben, weil sie ihn aus verschiedenen Gründen nicht realisieren können. Andere hingegen erhoffen sich auf dem Weg Hilfe. Hilfe bei der Trauerbewältigung, Hilfe in Umbruchphasen, Hilfe, wenn Orientierung fehlt.
Man sagt oft, der Camino gibt dir, was du brauchst. Und wer offen für neue Begegnungen, neue Gedanken und neue Blickwinkel ist, wird reich beschenkt werden.

Der Weg ist zu Ende

Zweieinhalb Stunden verbrachte ich am tosenden Atlantik, ließ mir den Kopf und die Gedanken freipusten, dann ging ich die drei Kilometer zurück ins Dorf.
Santiago war das Ziel meines Jakobsweges gewesen, aber erst am Kap Finisterre habe ich ihn beendet.
Plötzlich vermisste ich meine Familie, wollte meinen Mann und meine Kinder in die Arme schließen, sie sehen, mit ihnen reden, mich vergewissern, dass es ihnen gut geht. Eine gut bekannte Unruhe erfasste mich und da wusste ich: Ich habe meinen Weg abgeschlossen.

Caminho Portugues - Kap Fisterra - Steinkreuz, dahinter der Ozean
Steinkreuz am Kap Finisterre

In meinem Schlafsaal nächtigten witzigerweise die drei Italiener aus Rates, die damals so früh das gesamte Zimmer weckten. Es gab in den ganzen zwei Wochen nicht einen einzigen Tag, an dem ich nicht jemand Bekanntes traf.
Für den nächsten Tag war Starkregen angesagt, und entgegen meinem Plan frühstückte ich doch nicht am Hafen, sondern wollte mit dem ersten Bus nach Santiago fahren.
Die Überraschung erwartete mich an der Bushaltestelle. Hier standen gut hundert Pilger und wollten zurück nach Santiago! Der Bus war natürlich sofort voll. Ein zweiter Bus wurde angefordert. Auch der war in kürzester Zeit voll. Da ich noch Zeit hatte, wartete ich auf den dritten Bus. Dieser fuhr den langen Weg an der Costa da Morte vorbei und war nicht so voll wie die anderen beiden. So konnte ich aus dem Fenster schauen und die Landschaft genießen, die ich so schnell nicht wieder sehen würde.

Zurück in Santiago de Compostela

In Santiago hatte ich vier Stunden Aufenthalt, bevor mein Fernbus nach Porto fuhr. Für mich war klar, dass ich die Zeit in der Stadt und an der Kathedrale überbrücken würde. Selbst bei Regen.
Doch diesmal wollte der Funke nicht überspringen. Ich sah die neu ankommenden Pilger, ich sah die Kniefälle, die Tränen, die Freude, die Umarmungen und die in die Höhe gereckten Arme, Rucksäcke und Fahrräder. Ich hörte die Musik des Dudelsacks und ging durch die Straßen, vorbei an den vielen Menschen.
Doch es berührte mich nicht. Ich hatte meinen Weg am Kap Finisterre beendet.
Das hier war nicht mehr meine Zeit. Heute waren andere Pilger dran. Ich setzte mich vor eine Bar, trank einen letzten Café Con Leche und aß einen Burger und beobachtete die Pilger, die durch die Stadt zogen. Es gibt viele Wege nach Santiago de Compostela, und jeder Weg führt aus einer anderen Gasse auf den Platz vor der Kathedrale. Man kann daran ziemlich leicht erkennen, welchen Camino die Menschen gegangen sind. Die Pilger, die an dieser Stelle die Stadt erreichen, kamen vom Camino Francés, dem berühmtesten aller Jakobswege. Auch ich möchte irgendwann einmal auf diesem Weg Santiago erreichen.
Doch fürs Erste hatte ich genug. Obwohl ich noch ausreichend Zeit hatte, ging ich zurück zum Busbahnhof. Ich wartete lieber zwei Stunden in der Wartehalle, als mich diesen vielen Menschen in der Stadt auszusetzen.
Am Abend fuhr ich dann mit dem Bus nach Porto. Vier Stunden lang konnte ich Teile der Strecke noch einmal Revue passieren lassen. Ich fuhr durch Städte, die ich zu Fuß durchschritten hatte, ich fuhr an Bergen vorbei, durch die ich mich durchgekämpft hatte. Und dann war ich wieder in Porto, wo alles angefangen hatte.
Es fühlte sich gut an.

Caminho Portugues - Kap Fisterra - weißer Sandstrand mit Felsen
Praia de Langostera

Früh am nächsten Morgen ging mein Flieger. Am Flughafen traf ich ein letztes Mal auf Annette mit der verkehrten Zeit und auf Clemens. Wir saßen im selben Flieger, aber nicht nebeneinander. Kurz nach der Landung in Köln umarmten wir einander noch einmal, bis jeder seiner Wege ging.
Ich holte meinen Rucksack, verließ die Halle und schloss meine Familie in die Arme.

Wieder zu Hause

Die Anpassung nach der Rückkehr war nicht ganz einfach. In den ersten Tagen hielt ich es drinnen nicht aus und arbeitete draußen. Die Stadt war mir zu eng, mir fehlte der Blick in die Weite, auf das Ziel, das ich am Ende des Tages erreichen wollte.
Als ich die ersten beiden Blogbeiträge schrieb, brauchte ich eine Pause vom Weg. Ich sehnte mich nach diesem einfachen Leben, dem minimalistischen Gepäck, den geringen Bedürfnissen und gleichzeitig dem Trott des Pilgeralltags: morgens aufwachen, den Rucksack packen, kurz ins Bad huschen und losziehen. Laufen, die Welt an sich vorüberziehen lassen, essen, wenn man hungrig ist und trinken, wenn man durstig ist. Einfach alles hinnehmen, wie es ist und das Beste draus machen. Und einen Schritt nach dem anderen gehen.

Caminho Portugues - Kap Fisterra - Felsen und tosende Atlantikküste
Blick auf den Leuchtturm von Kap Fisterra

Ich habe viel gelernt auf dem Weg. Das Wichtigste ist wahrscheinlich die Erkenntnis, dass der Jakobsweg das Leben im Kleinen widerspiegelt. Man trifft auf Menschen, die einem von Anfang an zu Herzen gehen und auf Menschen, die einem unsympathisch sind. Manche Menschen begleiten einen für eine sehr lange Zeit, andere bleiben nur kurz. Doch die Zeit, die man miteinander verbringt, sagt nichts über die Beziehung aus.
Man hat Phasen, in denen man glaubt, es ginge nicht weiter. Phasen voller Schmerz, Trauer und Wut. Und man hat Zeiten, in denen läuft es wie geschmiert, alles ist gut, man fühlt sich wie vom Glück geküsst. In dieser komprimierten Form weiß man, dass es immer weitergeht, auch wenn man nicht daran glaubt. Man weiß, dass man es schafft. Nicht immer einfach, nicht immer sofort, aber man schafft auch die schrecklichen Phasen. Und man erlebt auch, dass man Menschen, die man aus den Augen verloren hat, plötzlich wiedertrifft. Und dass es gut ist, wie es ist.
Es erfüllt mich mit Stolz, den Jakobsweg gegangen zu sein. Ich bin ihn gegangen und ich habe ihn geschafft. Auf all meinen bisherigen Lebensstationen konnte ich nie sicher sagen, wie groß mein eigener Anteil am Gelingen war.
Wie oft hat man einfach Glück, ist zur rechten Zeit am rechten Ort, hat Gönner, Förderer, Neider oder Menschen, die einen bevorzugen oder benachteiligen. Doch auf dem Camino geht es nicht um einen guten Tag oder einen lichten Moment, sondern um das, was ich ganz alleine geschafft habe.
Auch wenn man viel Unterstützung hatte – sei es nun mental oder durch Gepäcktransport – so ist man den Weg doch selbst gegangen. Man hat etwas geleistet, von dem viele andere Menschen träumen und etwas, das sich viele nicht trauen. Wer den Camino plant, hat eigentlich schon gewonnen.

Der Jakobsweg macht süchtig

Wenn ihr also darüber nachdenkt, dann macht es. Denkt es nicht nur, wünscht es euch nicht nur, sondern macht es. Wartet nicht auf Zeiten, die vermeintlich besser sind. Wer weiß schon, ob die jemals kommen werden. Oder ob es nicht vielleicht doch irgendwann zu spät für den Camino ist.
Aber vergesst nicht: Das Camino-Fieber ist nicht auf die leichte Schulter zu nehmen!
:)

Caminho Portugues - Kap Fisterra - Felsen mit Brandung
Und vor uns das Meer

Ich hoffe, euch hat mein Rückblick auf den Caminho Portugues gefallen. Manches ist vielleicht für Außenstehende nur mäßig interessant, dafür steigert es bei anderen die Vorfreude oder lässt den eigenen Weg noch einmal Revue passieren.
Und ich trage im Hinterkopf den Gedanken, das Ganze noch einmal in eine neue Form zu bringen und als Buch zu veröffentlichen. Aber erstmal sind jetzt andere Themen dran.

Caminho Portugues Tag 12 – Von Faramello nach Santiago de Compostela

Caminho Portugues Tag 1 – Von Porto nach Angeiras

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Caminho Portugues – Tag 12

Von Faramello nach Santiago

Caminho Portugues Tag 12 - Startbild

Als ich wach wurde, war es draußen noch dunkel. Im Schlafsaal herrschte Ruhe (zumindest das, was man bei zwölf schlafenden Menschen so bezeichnen kann). Ganz leise nahm ich meine Sachen an mich und schlich aus dem Raum. Nach einem kurzen Abstecher ins Bad ging ich barfuß nach unten und zog Socken und Schuhe an.
Im Laufe meiner Pilgerreise habe ich gelernt, die Abläufe zu perfektionieren: Der Rucksack wird schon am Abend gepackt, Zahnbürste, Zahnpasta und ein kleines Handtuch stecken in der Gürteltasche, die Schuhe stehen sowieso immer außerhalb der Räume (aus gutem Grund).

Dunkelheit

In wenigen Minuten war ich fertig und verließ die Herberge. Es war immer noch dunkel, aus der Herberge drang noch immer kein Ton. Aber ich war nicht die Einzige auf dem Weg. Ein Stückchen hinter mir kamen fünf Leute mit Stirnlampen. Die Lichtkegel hüpften auf und ab und zum ersten Mal auf meiner gesamten Pilgerreise fand ich Stirnlampen sinnvoll. Sie stehen immer wieder auf Packlisten, dabei sind sie der absolute Graus in Schlafsälen. Nichts blendet mehr, als dieser umherirrende Lichtstrahl. Taschenlampen sind viel besser, aber die hat man meist sowieso am Handy.
Die Dämmerung reichte gerade aus, damit ich nicht ins Stolpern geriet, die gelben Pfeile sah ich im Dunkeln aber erst im letzten Augenblick. Hinter dem Ort ging es erst die Straße entlang, dann in ein Waldstück. Um nicht über Wurzeln zu stolpern, zückte ich die Taschenlampe meines Handys.

Caminho Portugues Tag 12 - Plakat im Wohngebiet
Anwohnerproteste

Die Lichtkegel hinter mir kamen immer näher und ich fühlte mich ein wenig mulmig. Sie waren zu mehreren, ich war allein. Weit und breit waren keine anderen Menschen, und bis die ersten Pilger aus meiner Herberge hier vorbeikommen würden, ginge noch einige Zeit ins Land. Mein Handy spendete nicht nur Licht, sondern auch ein wenig Sicherheit.
Doch hinter dem Waldstück überholten mich die Männer und ich konnte in Ruhe weitergehen. Mir war kein Verbrechen an einer Pilgerin bekannt, im Gegenteil, ich hatte ausschließlich positive Erfahrungen gemacht. Aber eine Restunsicherheit bleibt.
Die letzten Kilometer liefen sich quasi von allein. Neben der Herberge in O Milladoiro verspeiste ich das letzte Pilgerfrühstück, zu deutlich höheren Preisen als bisher. Klar, ich befand mich schließlich schon in einem Vorort von Santiago de Compostela. Nur noch sechs Kilometer bis zur Kathedrale, nur noch etwas mehr als eine Stunde Jakobsweg.

Caminho Portugues Tag 12 - Zettel auf Kilometerstein
Motivationszettel

Der Weg führte durch Waldstücke und an der Straße entlang, durch Wohngebiete und an Gärten vorbei. Und natürlich erging es mir in Santiago wie in jeder anderen Stadt auf dem Weg: Ich verlor die gelben Pfeile aus den Augen. Aber hier war es egal. Ich musste einfach nur bis zur Kathedrale kommen, und wenn ich auf den letzten hundert Metern durch die Stadt irrte und nicht mehr auf dem Jakobsweg ging, war das absolut egal.
Schön war es in der Stadt nicht mehr. Die Cafés am Straßenrand wurden touristisch und austauschbar, die Stadt war voll und laut und hatte absolut kein Flair.

Licht

Rucksäcke prägen das Bild des Jakobsweges und bekommen auf dem Weg eine besondere Bedeutung. Zu jedem Rucksack gehörte ein Pilger, und jeder Pilger konnte ein neuer Freund sein. Oder ein alter.
Und die drei Rucksäcke, die ich in diesem einen kleinen Café am Straßenrand entdeckte, kannte ich.
»Hallo Melanie!«
Regina, Heike und Marianne, die drei Pfälzerinnen!
Wir hatten nicht nur in der gleichen Minute unsere Jakobswege begonnen, wir würden sie nun auch gemeinsam beenden.
Die drei hatten wie geplant ihre komplette Ausrüstung dabei. Trotz schmerzender Schulter und offener Blasen würden sie den Weg beenden, wie sie ihn begonnen hatten.
Aber wir würden trotzdem nicht mehr die Gleichen sein.

Caminho Portugues Tag 12 - zwei Wegweiser in Santiago
Die letzten Kilometersteine

Wir quetschten und schoben uns an Menschen vorbei, irgendwo im Hintergrund war die Kathedrale, ab und zu fanden wir einen gelben Pfeil. Es war chaotisch und völlig anders, als ich mir ausgemalt hatte. Wir gingen durch enge Gassen und über Straßen, folgten anderen Menschen mit und ohne Rucksack – und standen plötzlich vor der Kathedrale.
Es war kein langsamer, emotionaler Einmarsch wie in meiner Vorstellung, sondern eher ein: »Wie – sind wir jetzt da?«
Erst als ich um 10:30 Uhr in der Mitte des Platzes stand, begann ich zu begreifen.

Caminho Portugues Tag 12 - Die Kathedrale in Santiago de Compostela
Die Kathedrale in Santiago de Compostela

Ich war da. Ich hatte es geschafft. Ich hatte 260 Kilometer zu Fuß hinter mich gebracht, um hier anzukommen. Um vor dieser Kathedrale zu stehen und von Gefühlen überrannt zu werden. Ich hatte Tränen in den Augen und wusste nicht, warum. Wir fielen uns in die Arme, gratulierten uns, machten Fotos in allen möglichen Positionen und Kombinationen und langsam begann ich es zu begreifen: Ich war den Jakobsweg gegangen. Alleine, zu Fuß und mit allem, was ich brauchte, in meinem Rucksack.
Es gab Tage mit Schmerzen und Tage ohne. Ich hatte vor Wut, Schmerz und Erschöpfung geheult, aber auch vor Glück. Ich hatte tolle Begegnungen gehabt, war in strömendem Regen gelaufen und bei großer Hitze. Und auch wenn ich morgens nie wusste, wo ich abends schlafen würde, habe ich doch immer ein Bett gefunden. Meistens sogar dort, wo ich es gewünscht habe.

Hinter mir lag ein unglaubliches Abenteuer und ich wusste: Das war mein erster Camino, aber nicht der letzte. Wer einmal von dem Virus infiziert wurde, wird ihn nicht mehr los. Wie oft habe ich schon vom Ruf des Camino gehört?
Und auch mich ruft er. Mal lauter und mal leiser und jetzt, wo ich diese Zeilen schreibe, ziemlich laut.

Diese eine Gelegenheit

Da ich nicht reserviert hatte, sollte ich mir schleunigst einen Schlafplatz suchen.
Das war in Santiago längst nicht so einfach wie auf dem Weg, aber ich hatte Glück. Wieder einmal. Denn ich landete in einem Hostel, das sehr beliebt und deshalb oft schon Tage im Voraus ausgebucht ist. An der Rezeption traf ich Annette aus Frankfurt mit den vertauschten Wochentagen. Auch sie war kurz zuvor angekommen.
Nach der Dusche und der obligatorischen Handwäsche meiner Wandersachen zog es mich zurück zur Kathedrale. Ich setzte mich auf den Boden und genoss das Leben um mich herum. Im Minutentakt erreichten Pilger die Kathedrale, sanken auf die Knie, weinten, fielen sich in die Arme, jubelten, lachten und küssten. Weggefährten trafen sich wieder, Rucksäcke und Fahrräder wurden in die Höhe gehoben, Fotos gemacht und über allem lag der Klang des Dudelsackspielers.

Caminho Portugues Tag 12 - Rucksack vor Kathedrale
Mein treuer Gefährte vor der Kathedrale in Santiago

Silvie und Laura hielten ihre Compostelas in der Hand, Nino und Melissa saßen erschöpft auf dem Platz, Stefan lag auf dem Kopfsteinpflaster, an seinen Rucksack gelehnt. Die namenlose Polin eilte vorüber. Piet, der Holländer. Wir alle gratulieren uns, umarmten einander und waren stolz und glücklich, angekommen zu sein.
Da ich nicht gläubig bin und auch keiner Kirche angehöre, verzichtete ich auf einen Besuch in der Kathedrale und wollte mir auch keine Compostela holen. Das war mir schnell klar und hatte sich während des Weges auch nicht geändert.
Aber was hatte ich auf dem Camino gelernt? Mach keine Pläne. Es kommt sowieso alles anders.
Stefan sagte einen wichtigen Satz zu mir: »Du hast nur diese eine Gelegenheit, dir die Compostela zu holen. Vielleicht ärgerst du dich irgendwann.«
Das war rational genug, um mich zu überzeugen. Also stellte ich mich in die lange Schlange der Wartenden vor dem Pilgerbüro. Man liest von Wartezeiten von zwei Stunden und mehr – nur für diesen katholischen Schnickschnack?
Doch plötzlich war es mir das wert und ich kann nicht einmal sagen, warum.
Alex stand in der Schlange und wir verkürzten uns die Zeit mit Gesprächen über den Weg, unsere Erlebnisse und das Danach. Alex traf auf dem Weg wichtige Entscheidungen, die ihr Leben in eine neue Richtung lenken würden.
Ich wollte nichts ändern, dafür aber das, was ich haben, wieder mehr schätzen.

Ich war da!

Später trank ich mit Heike, Regina und Marianne noch ein letztes Pilgerbier und traf eine Entscheidung.
Der Weg nach Fisterra, zum Kap Finisterre, musste nicht mit einer zehnstündigen Busfahrt für dreißig Euro gemeistert werden. Man konnte mit dem Linienbus in drei Stunden hinfahren, dort übernachten und wieder zurückkommen. Und genau das würde ich am nächsten Tag machen. Ich besorgte mir einen Fahrplan und buchte auch gleich die Rückreise nach Porto zwei Tage später.
Später gingen wir noch Essen, teilten uns Tortilla und Pimientos de Padron, genossen den Sommerabend, sprachen über den Weg und unser Leben zu Hause und wünschten uns von Herzen alles Gute.
Santiago war voller Menschen, auch am Abend erreichten Pilger die Stadt, man sah Menschen mit bandagierten Füßen, ausgelassen, glücklich und entspannt.
Ich hatte es geschafft.
Ich war in Santiago!

Caminho Portugues Epilog – Fisterra

Caminho Portugues Tag 11 – Von Valga nach Faramello

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Caminho Portugues – Tag 11

Von Valga nach Faramello

Caminho Portugues Tag 11 - Startbild

Noch fünfunddreißig Kilometer bis nach Santiago.
Ob Stefan sein heutiges Ziel erreichen würde? Als ich morgens um acht die Herberge verließ, schlief er jedenfalls noch. Renate und Alex begannen ihren Tag langsam, die Polin ohne Namen war schon weg. Diesmal war mein Frühstück nur vier Kilometer, also eine gute Stunde Fußweg, entfernt. Kaum hatte ich mein Bocadillo verspeist und den Café con Leche getrunken, kam auch Alex um die Ecke.

Wie geht es meinen Pilgerfreunden?

Von Birgit kam eine Nachricht: Sie war gemeinsam mit zwei anderen, die ich noch aus der Herberge in Rates kannte, in Santiago angekommen.
Wie es wohl Marianne, Heike und Regina ging? Sie hatten sich fest vorgenommen, trotz Gepäcktransport unterwegs, zumindest den Einmarsch in Santiago mit Sack und Pack zu meistern.
Und auch all die anderen, die ich unterwegs kennengelernt hatte: Wie ging es ihnen? Wer war ebenfalls schon in Santiago, wer war noch hinter mir? Hatte womöglich jemand aufgeben müssen?

Caminho Portugues Tag 11 - Brücke bei Pontecesures
Brücke bei Pontecesures

Der nächste größere Ort war Pontecesures. Witzigerweise traf ich dort Silvie und Laura, die beiden Schweizerinnen. Auch Pontecesures ist ein Ort, der einen längeren Aufenthalt verdient. Die alten Gebäude und vielen Cafés am Weg laden zum Verweilen ein, doch ich holte mir nur kurz ein Eis und ging weiter.
In Padron erkennt man schnell den Abzweig nach Herbon, den ich aber ignorierte. Für eine erneute Übernachtung war ich noch gar nicht weit genug gegangen, ich war ja gerade erst warm geworden!

Von Glück und Schokolade

Die Wegführung durch Padron ist ziemlich nett, man wird durch die Altstadt und eine kühle, schattenspendende Allee geführt. Entsprechend saßen natürlich einige Pilger am Wegesrand und machten eine Pause. Und wen traf ich da? Renate aus der Herberge! Sie winkte mir zu und überreichte mir ein kleines Päckchen: meine Schokolade aus dem Kühlschrank!
Ich musste wieder an das vierblättrige Kleeblatt hinter Tui denken. Sachen gibt es, die gibt es gar nicht!
»Ich habe die Schokolade mitgenommen, bevor sie weggeschmissen wird. Außerdem hatte ich darauf vertraut, dass wir uns wieder sehen.«
Wir teilten uns die Schokolade, aßen noch einen Riegel zusammen und ich ging weiter. Renates Etappenziel war das Konvent in Herbon, ich wollte noch weiter nach Faramello.

Caminho Portugues Tag 11 - Schuhe auf Kilometerstein
Symbolbild

Der Weg führte wenig attraktiv über mehrere Kilometer an der Bundesstraße entlang. Es war heiß und laut, nur ab und zu kam ein kleiner Ort. In einem kleinen, engen und sehr ursprünglich wirkenden Dörfchen machte ich eine Pause auf einem großen Stein, um meine Füße zu lüften. Hunde und Katzen kamen und gesellten sich zu mir, offensichtlich saßen auf diesem Schattenplatz öfter Pilger.
Frisch gestärkt ging ich weiter, bis ich hinter mir Schritte hörte. Da war ja jemand ganz schön schnell unterwegs! Mit einem fröhlichen »Hallo!« überholte mich Stefan.
»Und, schaffst du es heute noch bis Santiago?«, fragte ich und er lachte. »Es läuft gerade ziemlich gut. Ich denke schon.«
Kurz darauf war er weg und ich wieder allein.

Genug für heute

Der lange Weg in der Hitze an der Bundesstraße hatte mich mürbe gemacht. Meine Füße schmerzten, nur ein kurzes Stück führte durch Eukalyptuswald und war eine echte Erholung für die Gelenke. Trotzdem hatte ich für heute genug. Mein Ziel war die erstbeste Herberge, denn mittlerweile waren es noch weniger als achtzehn Kilometer bis Santiago. Zu viel für diesen Tag, ganz schön wenig für den nächsten. Denn eigentlich hatte ich alle Zeit der Welt.

Caminho Portugues Tag 11 - Eukalyptuswald
Eukalyptuswäldchen

Als ich nach dem Duschen meine Wäsche auf die Leine im Garten hängte, wurde ich von Piet, dem Holländer, begrüßt. Nach der Diskussion mit der Hospitalera war er einfach zur nächsten Herberge weitergegangen. Später kam noch Alex dazu und wir aßen gemeinsam zu Abend, redeten über unseren Weg und das, was er mit uns gemacht hatte.
So endete mein letzter kompletter Pilgertag. Am nächsten Tag würde ich Santiago erreichen.

Caminho Portugues Tag 12 – Von Famarello nach Santiago

Caminho Portugues Tag 10 – Von A Portela nach Valga

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Caminho Portugues – Tag 10

Von A Portela nach Valga

Caminho Portugues Tag 10 - Startbild

Die Nacht in der tollen Herberge in A Portela war schlecht.
Manche redeten noch bis weit nach Mitternacht, die Ersten begannen um sechs Uhr mit dem Aufbruch.
Da die sanitären Anlagen definitiv nicht für dreißig Leute ausgerichtet waren, schnappte ich schnell mein Zeug, putzte draußen am Waschbecken meine Zähne und lief los. Ich war sonst zwar auch immer ziemlich schnell beim Aufbruch, aber noch nie so schnell wie in A Portela.

Das war auch ganz gut so, denn so hatte ich wieder viel Ruhe auf dem Weg. Mittlerweile waren es nur noch sechsundfünfzig Kilometer bis nach Santiago – theoretisch war das sogar in zwei Tagen zu schaffen. Aber ich hatte schließlich noch Zeit, wollte mich nicht unnötig abhetzen und wollte ehrlich gesagt auch noch gar nicht, dass das Erlebnis Jakobsweg so schnell zu Ende ging.

Pimientos und mehr aus Padron

Das Kloster Herbon liegt bei Padron, etwa fünfundzwanzig Kilometer vor Santiago und ist ein sehr beliebtes Ziel. Es erfordert ab Padron einen kleinen Umweg von drei Kilometern, bietet dafür aber ein ganz besonderes Flair. Man schläft dort in einem Kloster und kann ein wenig Mönchsluft schnuppern. Außerdem nahm dort die Jakobuslegende im elften Jahrhundert ihren Anfang. Für gläubige oder historisch interessierte Pilger also definitiv eine Empfehlung.
Außerdem sind dort die »Pimientos de Padron« beheimatet, eine Leckerei, die ich leider erst an meinem letzten Tag kennenlernen sollte.
Ich wollte ungern diese dreißig Kilometer bis nach Padron laufen und peilte Valga oder Pontesecures an, des entsprach meinen täglichen zwanzig bis fünfundzwanzig Kilomtern.

Caminho Portugues Tag 10 - Weg im Schatten
Nicht untyptischer Wegeverlauf

Diesmal musste ich für mein Frühstück nur acht Kilometer laufen. Direkt am Weg gab es ein großes Café, dessen Bedienung wohl sieben Sprachen beherrscht – sein Deutsch war zumindest so gut, dass wir uns ganz normal unterhalten konnten. Zu meiner Überraschung war Clemens schon da und hatte sein Frühstück gerade beendet, um weiterzugehen. Ich hatte wirklich geglaubt, als Erste die Herberge in A Portela verlassen zu haben. Aber er war noch vor mir aufgestanden und machte sich nun weiter auf den Weg.
Ich bestellte einen Café Con leche und ein Bocadillo mit Käse und Schinken für 3,50 €. Diese Preise machten es unnötig, mich selbst zu versorgen. So ersparte ich mir die Suche nach Supermärkten, konnte die heimische Küche testen und ein bisschen für die spanische und portugiesische Wirtschaft tun. Mein Tagesbudget von dreißig Euro habe ich jedenfalls bis auf zwei Tage (einer davon in Santiago) stets unterschritten, teilweise deutlich. Darin war alles enthalten: Übernachtung, Waschen, Getränke und Kaffee unterwegs und Essengehen am Abend.

Vom großen Glück

Der nächste größere Ort war Caldas de Reis.
Nach meinem Frühstück ging es weiter. Ich war jetzt zehn Tage unterwegs, Kopf und Körper hatten sich an den Pilgeralltag gewöhnt. Morgens stand ich früh auf, machte mich schnell fertig und ging los. Mir tat nichts weh, die Einstellung am Rucksack passte mittlerweile perfekt, ich spürte ihn kaum. Füße und Beine wussten, was sie zu tun hatten und der Kopf hing einfach seinen Gedanken nach. Probleme und Gedanken, die man so mit sich herumschleppt, lösten sich in Luft auf, meine Arbeit am Roman war weit weg und ich hatte viel Zeit, über mich und den Weg nachzudenken.
Kurz vor Caldas de Reis liefen wie aus dem Nichts Tränen. Wie ein Schlosshund heulte ich, ließ die Tränen laufen, ging einfach weiter und genoss dieses unfassbare Glück.
Ich habe drei gesunde Kinder, einen Beruf, der mich ausfüllt und einen wunderbaren Mann an meiner Seite, der mir völlig selbstlos das Abenteuer Jakobsweg ermöglicht. Meine Eltern und Schwiegereltern sind gesund, und zu diesem Zeitpunkt hatte ich sogar noch zwei Omas, beide über neunzig Jahre alt.
Das ist pures, echtes Glück. Das ist wichtig im Leben und ich werde nie vergessen, wie sich dieser Moment vor Caldas de Reis anfühlte.

Caminho Portugues Tag 10 - Kirche, umgeben von Palmen
Kirche, umgeben von Palmen

Auch dieser Tag wurde wieder sehr heiß, der Weg führte durch Wiesen und Auen und kleinere Orte und bot kaum Schatten. Nachdem ich mich hinter Caldas de Reis einige Kilometer bergauf in einen Ort geschleppt hatte, plante ich eine längere Pause mit frischem Orangensaft und einem großen Café con Leche.
Der Garten des Cafés lag im Schatten von Bäumen, und diese Pause fühlte sich wirklich nach einer kleinen Auszeit an. Auch Piet aus Holland war da und wir tauschten locker Pilgererfahrungen aus.
Die Landschaft bot jedoch wenig Abwechslung. Ich lief durch einen Ausläufer der Pyrenäen (das Kantabrische Gebirge), sodass ich eigentlich den ganzen Tag lang öde braune Berge vor, hinter und neben mir erblickte. Auch die Hitze machte das Laufen an diesem Tag wenig attraktiv und ich quälte mich mit dem Mantra »walk, eat, sleep, repeat« an der Bundesstraße entlang. Das machte keinen Spaß mehr, also nahm ich den Abzweig zur öffentlichen Herberge in Valga.

Starre Regeln

Auf dem Weg zur Rezeption traf ich auf einen wütenden Piet. »Ich gehe wieder, sowas Unfreundliches habe ich noch nie erlebt!«
Er diskutierte noch ein wenig mit der Hospitalera, nahm seine sechs Euro wieder entgegen und verließ die Herberge. Stein des Anstoßes war die Bettenbelegung. In den meisten Herbergen darf man sich seinen Schlafplatz aussuchen und ich war oft früh genug da, um mir einen Platz an der Wand auszusuchen. Außerdem sind die unteren Betten beliebter als die oberen, denn mit schmerzenden Füßen und wehen Muskeln mag man einfach nicht so gern auf den schmalen Leitern klettern.

Caminho Portugues Tag 10 - Skulptur Pilger mit schmerzenden Füßen
Pilgerfeeling in Valga

Hier jedoch wurden die Betten streng zugewiesen: Der erste Pilger muss in Bett eins schlafen, der zweite in Bett zwei, der dritte in Bett drei. Piet war der zweite Pilger und sollte deshalb das obere Bett nehmen. Er wollte aber aus verständlichen Gründen unten schlafen, was die Hospitalera schlichtweg nicht erlaubte (und auch kontrollierte). In dem Schlafraum standen zwölf Betten, die Herberge hat insgesamt achtundsiebzig Betten, und trotzdem war es nicht möglich, dass Piet ein unteres Bett bezog. Das war tatsächlich auch für mich das negativste Herbergserlebnis, denn diese Frau war unglaublich unflexibel und sehr unfreundlich. Statt unsere Fragen zu beantworten, daddelte sie am Handy.
Da Piet nun wieder gegangen war, war ich Pilgerin Nummer zwei und musste das obere Bett belegen. Immerhin wusste ich jetzt, dass ich mir eine Diskussion darüber sparen konnte.
Natürlich ist es immer schön, wenn man ein Bett für sich allein hat. Denn je nach Zustand wackelt das ganze Bett, wenn sich die Person über oder unter einem umdreht.
Um die Absurdität dieses Vorgehens zu unterstreichen, schliefen in dieser Nacht nur insgesamt fünf Pilger in der gesamten Herberge. Aber dafür haben wir auch nur drei Stockbetten belegt. Die ungeraden Zahlen lagen unten, die geraden oben.

Caminho Portugues Tag 10 - Bierflasche Peregrina
Nomen est Omen

Außer mir waren noch eine junge Polin dort, Renate, die alles sehr langsam anging, Stefan aus der Herberge in A Portela sowie Alex. Den Spätnachmittag verbrachte ich mit Stefan und Alex, aß den Rest meines Babybreis mit frischem Obst und wir teilten uns Stefans Nudeln mit Tomatensauce. Ich spendierte Schokolade und legte den Rest für den nächsten Tag in den Kühlschrank.
Stefan überlegte, bis nach Santiago durchzulaufen, ich wollte mir, genau wie Alex, noch zwei Tage Zeit lassen. Mittlerweile freute ich mich auf Santiago und malte mir aus, wie sich das Ankommen an der Kathedrale wohl anfühlt.

Caminho Portugues Tag 10 - Blick über das Gebirge
Toller Ausblick etwas abseits der Herberge

Caminho Portugues Tag 9 – Von Arcade nach A Portela

Caminho Portugues Tag 11 – Von Valga nach Faramello

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Caminho Portugues – Tag 9

Von Arcade nach A Portela

Caminho Portugues Tag 9 - Startbild

Nur noch 80 km bis nach Santiago, also etwa vier Tage.
Den größten Teil meines Jakobsweges habe ich also schon hinter mir und ich kann es immer noch nicht glauben!
Da Portugal in einer anderen Zeitzone liegt, lief ich dort morgens immer im Hellen los. In Galicien dagegen dämmert es um sieben Uhr noch, und auch den neunten Tag startete ich im Halbdunkel.
Die Dämmerung hüllte die Welt in ein besonderes Licht, alles wirkte ein wenig unwirklich, mir begegneten kaum Menschen. Das Krähen der Hähne und das Bellen der Hunde begleitete mich durch das hübsche Städtchen. Arcade liegt sehr idyllisch zwischen der Bucht von Vigo und den Ausläufern des Kantabrischen Gebirges, ist aber nicht touristisch erschlossen und damit noch sehr ursprünglich.

Caminho Portugues Tag 9 - Die Brücke von Arcade
Arcade früh am Morgen

Diese ersten Stunden des Tages genoss ich sehr, zumal die angekündigte Hitze noch auf sich warten ließ. Ich lief mehrere Kilometer durch eine Flussaue, lauschte den Fröschen beim Morgenkonzert und beobachtete, wie der Nebel sich langsam verzog. Für mich waren diese frühen Stunden immer die schönsten.

Hunger

Leider hatte das in meinem Wanderführer angekündigte Café um diese Uhrzeit noch geschlossen. Meinen Babybrei mochte ich nicht mit dem wenigen Wasser anrühren, die Nüsse als Zwischensnack waren leer und Obst hatte ich keines gekauft.
Nach zwei Stunden wurde der Hunger sehr unangenehm, und ich hätte wirklich gern einen Kaffee gehabt. Der nächstgrößere Ort war das mehrere Kilometer entfernte Pontevedra. Eine mittelgroße Stadt mit historischem Ortskern und guter Pilger-Infrastruktur.

Caminho Portugues Tag 9 - gelber Pfeil in der Flussaue
Achtung, nicht stoßen!

Ich lief und lief, aber die Stadt kam nicht näher. Ein weiterer Complementario, also ein Nebenweg, lockte mich weg von der Straße in eine Flussaue. Von hinten überholten mich Pilger, von vorne kamen mir Jogger entgegen. Inzwischen war mir schwindelig und ich versuchte, durch Wassertrinken in Schwung zu bleiben. Was sollte ich auch anderes tun?
Obwohl ich mich mittlerweile in der Vorstadt befand, gab es weit und breit keine Möglichkeit, etwas zu essen zu kaufen. Der Weg entlang des Flusses war schön, aber dafür hatte ich keinen Blick mehr. Ich war schlapp und merkte, dass mein Kreislauf rebellierte. Bitte keinen Schwächeanfall fernab der Straße!
Endlich erreichte ich Pontevedra. Mittlerweile war es später Vormittag und ich war schon drei Stunden unterwegs, ohne etwas gegessen zu haben. Der Jakobsweg führt mitten durch die Stadt, gleich am Ortseingang fand ich eine Herberge mit einer Bar zum Frühstücken.
Puh!
Ich bestellte mir einen großen Café con leche, eine Tortilla und einen frischgepressten Orangensaft. Für dieses Frühstück musste ich zwölf Kilometer laufen!
Ich zog Schuhe und Strümpfe aus und beobachtete die vorbeiziehenden Pilger. Zu meiner großen Freude kamen auch Nino und Melissa vorbei, die ich schon längst weiter vorn vermutet hatte. Sie setzten sich zu mir und wir verquatschten uns eine ganze Weile, was für mich eher untypisch war. Meine Pausen waren eigentlich immer ziemlich kurz, mir machte das Gehen mehr Spaß als das Sitzen.

Pontevedra

Da ich schon am Ortseingang eine längere Pause eingelegt hatte, hatte ich nur wenig Muße für die schöne Stadt. Mich zog es weiter, wieder raus in die Natur. Aber auch die etwas heikle Herbergssituation hat ihren Anteil an meiner Eile.
Die von mir angepeilte Herberge in A Portela hat nämlich nur sechzehn Betten und ist entsprechend schnell belegt. Zum Glück kann man nicht reservieren, sonst wäre sie vermutlich immer schon Tage im Voraus ausgebucht – so wie die Herberge von Fernanda in Portugal.

Caminho Portugues Tag 9 - Landschaft mit Bergen
Irgendwo hinter Pontevedra

Mittlerweile war es wirklich heiß geworden, wieder knapp dreißig Grad. Diese Hitze schlaucht natürlich, außerdem musste ich mal wieder einen Berg überwinden. Bei der Planung des Weges war mir nicht bewusst gewesen, wie bergig der gesamte Caminho Portugues doch ist.
Mir begegneten nur wenige Pilger und ich konnte mich ganz auf mich und den Weg konzentrieren. Ich lief und lief und lenkte mich durch das Hören eines Hörbuchs von der Anstrengung ab (Die Känguru-Chroniken – die beste Ablenkung ever!).

A Portela

Völlig verschwitzt und total im Eimer erreichte ich die Herberge in A Portela. Sie liegt idyllisch abseits des Weges auf einem großen Grundstück hinter einem Kloster. Einzelne Pilger saßen frisch geduscht im Garten und ich konnte nur noch erschöpft fragen: »Do you have a bed for me?«.
Sie hatten. Yeah!
Ich hatte schon in meinem Wanderführer davon gelesen, aber diese Herberge ist wirklich etwas ganz Besonderes. Die Hospitaleros erinnern an Hippies aus den Sechzigern, im Garten gab es viele Sitzmöglichkeiten unter einem großen Baum, Indie-Rock lief in angenehmer Lautstärke. Im vorderen Bereich spielte jemand Gitarre und sang. Hier fühlte ich mich wohl wie schon lange nicht mehr. Und dann wurden wir auch noch bekocht!

Caminho Portugues Tag 9 - Tausende Namen auf einer Wand
Pilger aus der ganzen Welt haben sich hier verewigt

An einer langen Tafel saßen wir mit knapp dreißig Leuten (für eine polnische Gruppe war ein Nebengebäude mit Matratzen geöffnet worden), aßen Eintopf, Salat und Tortilla und tranken Vino Tinto. Die Stimmung war völlig gelöst und entspannt und ich lernte wieder neue Pilger kennen: Piet, ein Holländer mit viel Pilgererfahrung, Stefan, der erst kurz zuvor den kompletten Camino del Norte gegangen war und Clemens, der mittlerweile schmerzfrei war. Auch Nino und Melissa waren hier und unterhielten sich angeregt mit den Polen.
Wer das Besondere auf dem portugiesischen Jakobsweg sucht, sollte auf jeden Fall in der Herberge in A Portela Halt machen. Diese Herberge und die Herberge in Rates (Tag zwei) vermitteln ein ganz besonderes Pilgerfeeling, das man auf diese Art sonst nicht findet.

Caminho Portugues Tag 9 - Die Herberge in A Portela
Die Herberge in A Portela

Caminho Portugues Tag 10 – Von A Portela nach Valga

Caminho Portugues Tag 8 – Von O Porrino nach Arcade

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