Caminho Portugues – Tag 8

Von O Porrino nach Arcade

Caminho Portugues Tag 8 - Startbild

Nur noch 99 Kilometer bis Santiago!
Ich verließ zwar als erste meinen Schlafsaal in O Porrino, traf aber unterwegs bereits auf einige andere Pilger. Morgenstund hat nicht nur Gold im Mund, sondern auch wunderschöne Ausblicke. Manches Mal wanderte ich durch Frühnebel, der eine ganz besondere Stimmung zaubert.
Für die kommenden Tage waren Temperaturen bis 30 Grad gemeldet. Im Mai! Aber meine Ausrüstung war in puncto Sonnenschutz besser als beim Regenschutz. Hinter O Porrino wurde es wieder ländlicher, und mittlerweile waren so viele Pilger auf dem Jakobsweg, dass eigentlich immer jemand in Sichtweite war.

Mutterfreuden auf dem Jakobsweg

Unterwegs lernte ich Michelle aus Brandenburg kennen. Die Gespräche waren so anregend, dass die Kilometer nur so vorüberflogen. Michelle freute sich, endlich eine Pilgerin mit jungen Kindern zu treffen. Mir ging es ähnlich. Die meisten Frauen, die ich unterwegs traf, hatten entweder noch keine Kinder, oder die Kinder waren längst aus dem Haus. So richtig aufgefallen ist mir das allerdings erst durch die Gespräche mit Michelle. Die Altersgruppe zwischen 35 und 45 Jahren war tatsächlich unterrepräsentiert. Wir sprachen über unsere Kinder, das Vermissen und die Schwierigkeiten, sich eine zweiwöchige Auszeit nehmen zu können. Das erklärt natürlich auch, warum so wenige Eltern schulpflichtiger Kinder unterwegs waren.
Da ich unterwegs kein Internet hatte, meldete ich mich immer erst abends aus der Herberge bei meiner Familie. Ich schickte ein paar Bilder, schrieb kurz vom Tag und berichtete, wo ich war. Mehr Kontakt fand nicht statt, was zumindest für mich gut war. Ich glaube, dass ich nach einem Telefonat oder einer Sprachnachricht meine Familie ganz furchtbar vermisst hätte.
Aber wir kamen alle ganz gut so zurecht.

Caminho Portugues Tag 8 - Morgennebel
Morgennebel hinter O Porrino

Auf einem anderen Abschnitt traf ich Annette aus Frankfurt. Sie musste herzlich lachen, als ich ihr von meiner »Zeitlosigkeit« erzählte. Zwar wusste ich jeden Tag, wo ich in etwa hingehen wollte – aber häufig wusste ich noch nicht einmal, welchen Wochentag wir hatten, von einem Datum ganz zu schweigen.
Diese Zeitlosigkeit ist der beste Beleg, dass ich vollkommen im Hier und Jetzt lebte und wunderbar abschalten konnte.
Eine dritte Pilgerin gesellte sich zu uns und erzählte, dass sie wahrscheinlich am Mittwoch in Santiago ankommen würde. Annette war entsetzt. Neunzig Kilometer in zwei Tagen! Warum?
Wir sahen Annette an, dann musste ich furchtbar laut lachen.
»Annette, wir haben Samstag! Das sind vier gemütliche Tage!«
»Samstag?« Sie starrte uns an. »Ich dachte, wir hätten Montag! Ich habe meinen Kindern heute morgen eine Nachricht geschickt, dass sie das Frühstücksbrot für die Schule nicht vergessen!«
Tja, da war Annette wohl noch zeitloser als ich …

Zu viele Menschen

Mein eigentliches Etappenziel für diesen Tag war Redondela.
Das Städtchen sollte sehr hübsch sein, einen Strand haben und ausreichend viele Pilgerherbergen. Schon von weitem hatte man einen atemberaubenden Blick auf die Stadt, die an einem Ausläufer des Atlantiks liegt (Ria de Vigo). Bei dieser Hitze das perfekte Etappenziel!
Um kurz nach zwölf erreichte ich Redondela. Michelle hatte sich unterwegs zu ihr bekannten Pilgern in ein Café gesetzt, und ich ging in die Innenstadt, wo ich Nadine mit den beiden Schweizerinnen Sylvie und Laura traf. So tranken wir noch einen Kaffee zusammen, während Scharen von Pilgern an uns vorüberzogen.
Auch die fünf Brasilianer von Tag fünf waren dabei, sowie das britische Lehrerehepaar (die vielleicht gar keine Lehrer sind, aber manche Klischees wollen eben bedient werden). Als ich den dreien von der Rucksackreihe erzählte, lachten sie – vor einer der Herbergen standen bereits Rucksäcke aufgereiht und die Pilger warteten auf Einlass.
Puh, darauf hatte ich gar keine Lust.
Und weil mir Redondela ohnehin zu voll, zu laut und zu eng war, schulterte ich meinen Rucksack und ging weiter.

Caminho Portugues Tag 8 - Brücke Puente de Rande bei Vigo
Puente de Rande bei Vigo

Der nun folgende Abschnitt war definitiv einer der schönsten auf dem gesamten Camino. Es war zwar heiß, aber ich lief nahezu alleine. Die meisten Pilger waren in Redondela geblieben und würden erst am nächsten Morgen diesen Weg gehen.
Immer wieder blieb ich stehen und genoss die Landschaft, machte Fotos und fühlte mich endlich wieder so wie an den ersten Tagen in Portugal. Es ging teilweise steil bergauf, ich kämpfte mich nach oben, schwitzte wie verrückt und war einfach nur glücklich.

Caminho Portugues Tag 8 - Eine Wand voller Muscheln
Mein Begleiter vor der berühmten Muschelwand

Bergab wurde ich mit wunderbaren Ausblicken auf die Bucht von Vigo beschenkt und fühlte mich wie im Paradies. Außerdem stachelten mich die steinernen Wegweiser an. Stück für Stück kam ich Santiago näher und ich wollte unbedingt einen Kilometerstein mit der Kilometerzahl achtzig sehen. Der stand in Arcade, und dort blieb ich.
Wahnsinn! Noch vor wenigen Tagen hatte ich angezweifelt, überhaupt bis nach Spanien zu kommen. Und jetzt war ich schon so nah ans Santiago, es war unfassbar! Und ich fühlte mich noch so fit, so voller Elan und war mir ziemlich sicher, diese vier Tage auch noch zu schaffen.

Caminho Portugues Tag 8 - Blick auf die Bucht von Vigo
Blick auf die Bucht von Vigo

Ein Bett mit Bettwäsche

Da Arcade keine öffentliche Herberge hat, schlief ich das erste Mal in einer privaten. Ein absoluter Luxus mit Kojen statt Stockbetten und Bettwäsche für nur zwölf Euro! Außerdem war ich mal wieder die erste Pilgerin und konnte mir ein Bett aussuchen. Natürlich nahm ich eines, das ein bisschen abseits stand. Als ich nach dem Duschen und Wäschewaschen endlich Internet hatte, kam die nächste Freude: Marianne, Regina und Heike waren ebenfalls in Arcade!
Wir trafen uns in einem Restaurant mit Blick aufs Meer zu einem leckeren spanischen Essen. Es tat so gut, die drei wiederzusehen. Ich hatte sie richtig ins Herz geschlossen, zumal Birgit schon eine Tagesetappe weiter war als ich.
Vielleicht liegen einem die Pilger vom Anfang des Weges so besonders am Herzen, weil man sie kennenlernt, wenn noch alles neu, ungewohnt und sehr spannend ist. Wenn man seinen Trott gefunden hat, sind nicht mehr die Erwartungen interessant, sondern das unmittelbare Erleben.

Caminho Portugues Tag 8 - Kilometerstein in Arcade: 80 km
80,620 km

Leider ging es den dreien nicht so gut wie mir. Eine stark schmerzende Schulter und offene Blasen führten dazu, dass sie den Weg nicht wie geplant gehen konnten. Der Transport ihrer Rucksäcke war eine gute Lösung, führte aber dazu, dass sie jeden Tag im Vorfeld die Herberge buchen mussten. Das setzt zum einen unter Druck, zum anderen fehlt aber auch die Gemeinschaft mit den anderen Pilgern. Denn die ist in den öffentlichen Herbergen am engsten.
Deshalb unterschieden sich auch unsere Pläne für den nächsten Tag: Während ich rund zwanzig Kilometer nach A Portela laufen wollte, mussten die drei noch ein Stück weiter, da man in der dortigen Herberge nicht reservieren kann.
Es war ein schöner Abend und ich genoss die Nacht in einem normalen Bett, ohne Schlafsack und beinahe allein.

Caminho Portugues Tag 7 – Von Valenca do Minho nach O Porrino

Caminho Portugues Tag 9 – Von Arcade nach A Portela

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