Termine, Termine

Es dauert nun wirklich nicht mehr lange, bis „Unter der Mauer“ erscheint!
Die nächsten Lesungs-Termine sind noch in Planung, sobald es konkret wird, sage ich euch Bescheid.
Hier findet ihr schon mal die Termine der nächsten Zeit:

Freitag, 13. September von 14-18 Uhr:
Meet and Greet bei BücherbuyEva in Hilchenbach im Rahmen der Aktion „Heimat shoppen“ – gemeinsam mit anderen Siegerländer Autorinnen, unter anderem Mimi Heeger und Tine Nell

Donnerstag, 10. Oktober von 19-21.30 Uhr:
Vortrag zum Thema Nachhaltigkeit im frei:RAUM in Siegen

An beiden Terminen könnt ihr natürlich auch signierte Bücher erwerben!

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Caminho Portugues – Tag 13

Kap Finisterre

Caminho Portugues - Kap Fisterra - Startbild

Ich verließ die Herberge in Santiago früh, da mir der Weg zum Busbahnhof sehr weit erschien und ich es hasse, zum Bus rennen zu müssen.
Ein wenig desorientiert stand ich kurz darauf bei Nieselregen neben einem Brunnen und starrte auf meine Karte. Ein Mann kam auf mich zu und fragte auf Deutsch, ob er mir helfen könne. »Ich suche den Weg zum Busbahnhof.«
»Alles klar«, antwortete er. »Ich bringe dich hin.« Ich muss wohl ziemlich irritiert geschaut haben, denn er lachte. »Ich bin vorgestern vom Francés gekommen. Da brauche ich sowieso noch Bewegung, sonst bekomme ich muskuläre Probleme. Außerdem möchte ich etwas von dem zurückgeben, das mir der Weg geschenkt hat.«
Freudig nahm ich sein Angebot an. Er brachte mich bis zum Bahnhof und zeigte mir sogar, an welchem Schalter ich mein Ticket bekomme. Wir verabschiedeten uns und er wünschte mir noch eine gute Zeit in Fisterra. Er selbst war schon mehrmals da, weil er regelmäßig den Camino geht.
»Aber meine Freunde halten mich deswegen für verrückt. Dabei müssten sie es nur einmal selbst probieren, dann wüssten sie, warum ich immer wieder gehe.«
Diese Szene zeigt sehr schön, was den Camino so besonders macht – und warum man ihn immer wieder gehen möchte.

Fisterra, das Fischerdorf am Ende der Welt

Fisterra ist ein kleines Fischerdorf auf einer Landzunge im äußersten Westen Spaniens. Die Busfahrt ans Ende der Welt (Fis = Ende, Terra = Erde) war atemberaubend. Von den drei Stunden führten fast zwei an der Atlantikküste entlang. Die Costa de Morte ist unfassbar schön: Berge treffen auf das Meer, es gibt weiße Sandstrände und raue Wellen. Trotzdem ist die Gegend nicht touristisch. Wahrscheinlich interessieren sich die meisten Menschen für Spaniens Südküste und wissen gar nicht, wie toll der Norden ist.
Kaum hielt der Bus in Fisterra, kam eine Frau auf mich zu und fragte, ob ich ein Bett bräuchte. Klar! Ich wusste aus Erzählungen, dass das passieren wird und war froh, mir keine Unterkunft suchen zu müssen. Das würde definitiv meine letzte Nacht in einer Pilgerherberge mit Stockbetten sein, deshalb war ich nicht wählerisch. Am nächsten Tag würde ich die lange Busfahrt bis nach Porto auf mich nehmen, um von dort wieder nach Hause zu fliegen.

Caminho Portugues - Kap Fisterra - der Hafen von Fisterra
Der Hafen von Fisterra

Fisterra empfing uns mit Regenwetter. Trotzdem trank ich am Hafen erstmal einen Kaffee, um nicht nur physisch, sondern auch psychisch anzukommen. In einem Supermarkt holte ich mir Proviant und machte mich auf den Weg zum Kap Finisterre mit dem Leuchtturm. Viele Pilger gehen von Santiago bis Fisterra zu Fuß, so auch Stefan, dem ich letztlich meine Compostela zu verdanken haben. Der Weg ist knapp neunzig Kilometer lang und dauert ca. drei Tage. Es gibt sogar eine eigene Pilgerurkunde extra für den Camino a Fisterra, die Fisterrana.
Unterwegs überholten mich immer wieder voll besetzte Touristenbusse und ich fragte mich, ob Nadine, Silvie und Laura wirklich eine Rundfahrt gebucht oder doch eine andere Möglichkeit gefunden hatten. Oder ob sie überhaupt noch hierher kommen wollten.

Sich selbst und den Camino feiern

Doch so schön Kap Finisterre mit seinen Felsen und dem schäumenden Meer auch für Besucher ist: Der Ort wirkt erst wirklich mystisch, wenn man den Camino gegangen ist.
An dem berühmten 0,00 km-Stein musste ich übrigens für das Foto anstehen. Einige der Bustouristen ließen sich – warum auch immer – mit dem Stein ablichten.
Hinter dem Stein steht der Leuchtturm, dahinter noch ein Kreuz, und dann kommt nur noch das weite Meer.
Ich suchte mir einen ruhiges Eckchen auf den Felsen, holte Brot, Käse, Schinken und Wein hervor und feierte mich und meinen Camino. Der Wind wehte stark, die Wellen schlugen gegen die Felsen, Gischt sprang empor und ich konnte kaum glauben, wie schön die Welt ist. Dieser Planet, unser aller Zuhause. Und wir Menschen mittendrin, die wir uns trotz unserer Winzigkeit so wichtig finden. Aber für die Erde sind wir verzichtbar.

Caminho Portugues - Kap Fisterra - der Null-Kilometer-Stein
Am berühmten 0,00 km-Stein

Wir Individuen sind wichtig für andere Menschen, auch wenn wir es nicht immer spüren. Alle meine Wegbegleiter waren bedeutsam für mich gewesen. Die einen mehr, die anderen weniger. Selbst ein simples »Bon Camino«, ein kleines »Bom Dia«, ein »Obrigada« oder ein »Dias« war ein schönes Zeichen und tat gut. Jedes Lächeln, jedes freundliche Wort und jedes Gespräch hatte eine Bedeutung und machte den Weg leichter und schöner.
Und ich bin mir sicher, dass auch ich für andere Pilger wichtig war. Viele kannten vielleicht nicht einmal meinen Namen, so wie ich nicht von allen den Namen kennen. Kaum jemand wusste von meinem Beruf, aber auch ich weiß nicht, womit die anderen ihren Lebensunterhalt bestreiten. Ich hatte so viele glückliche und gute Momente auf dem Weg und empfinde es als Glück, überhaupt gehen zu können. Den Weg gehen zu können. Mit nur wenig Ballast außer meinem Rucksack.

Caminho Portugues - Kap Fisterra - Pilgerstatue
Pilgerstatue auf dem Weg zum Leuchtturm

Für viele Menschen ist der Jakobsweg ein lang gehegter Wunsch, und für viele wird es auch ein Wunsch bleiben, weil sie ihn aus verschiedenen Gründen nicht realisieren können. Andere hingegen erhoffen sich auf dem Weg Hilfe. Hilfe bei der Trauerbewältigung, Hilfe in Umbruchphasen, Hilfe, wenn Orientierung fehlt.
Man sagt oft, der Camino gibt dir, was du brauchst. Und wer offen für neue Begegnungen, neue Gedanken und neue Blickwinkel ist, wird reich beschenkt werden.

Der Weg ist zu Ende

Zweieinhalb Stunden verbrachte ich am tosenden Atlantik, ließ mir den Kopf und die Gedanken freipusten, dann ging ich die drei Kilometer zurück ins Dorf.
Santiago war das Ziel meines Jakobsweges gewesen, aber erst am Kap Finisterre habe ich ihn beendet.
Plötzlich vermisste ich meine Familie, wollte meinen Mann und meine Kinder in die Arme schließen, sie sehen, mit ihnen reden, mich vergewissern, dass es ihnen gut geht. Eine gut bekannte Unruhe erfasste mich und da wusste ich: Ich habe meinen Weg abgeschlossen.

Caminho Portugues - Kap Fisterra - Steinkreuz, dahinter der Ozean
Steinkreuz am Kap Finisterre

In meinem Schlafsaal nächtigten witzigerweise die drei Italiener aus Rates, die damals so früh das gesamte Zimmer weckten. Es gab in den ganzen zwei Wochen nicht einen einzigen Tag, an dem ich nicht jemand Bekanntes traf.
Für den nächsten Tag war Starkregen angesagt, und entgegen meinem Plan frühstückte ich doch nicht am Hafen, sondern wollte mit dem ersten Bus nach Santiago fahren.
Die Überraschung erwartete mich an der Bushaltestelle. Hier standen gut hundert Pilger und wollten zurück nach Santiago! Der Bus war natürlich sofort voll. Ein zweiter Bus wurde angefordert. Auch der war in kürzester Zeit voll. Da ich noch Zeit hatte, wartete ich auf den dritten Bus. Dieser fuhr den langen Weg an der Costa da Morte vorbei und war nicht so voll wie die anderen beiden. So konnte ich aus dem Fenster schauen und die Landschaft genießen, die ich so schnell nicht wieder sehen würde.

Zurück in Santiago de Compostela

In Santiago hatte ich vier Stunden Aufenthalt, bevor mein Fernbus nach Porto fuhr. Für mich war klar, dass ich die Zeit in der Stadt und an der Kathedrale überbrücken würde. Selbst bei Regen.
Doch diesmal wollte der Funke nicht überspringen. Ich sah die neu ankommenden Pilger, ich sah die Kniefälle, die Tränen, die Freude, die Umarmungen und die in die Höhe gereckten Arme, Rucksäcke und Fahrräder. Ich hörte die Musik des Dudelsacks und ging durch die Straßen, vorbei an den vielen Menschen.
Doch es berührte mich nicht. Ich hatte meinen Weg am Kap Finisterre beendet.
Das hier war nicht mehr meine Zeit. Heute waren andere Pilger dran. Ich setzte mich vor eine Bar, trank einen letzten Café Con Leche und aß einen Burger und beobachtete die Pilger, die durch die Stadt zogen. Es gibt viele Wege nach Santiago de Compostela, und jeder Weg führt aus einer anderen Gasse auf den Platz vor der Kathedrale. Man kann daran ziemlich leicht erkennen, welchen Camino die Menschen gegangen sind. Die Pilger, die an dieser Stelle die Stadt erreichen, kamen vom Camino Francés, dem berühmtesten aller Jakobswege. Auch ich möchte irgendwann einmal auf diesem Weg Santiago erreichen.
Doch fürs Erste hatte ich genug. Obwohl ich noch ausreichend Zeit hatte, ging ich zurück zum Busbahnhof. Ich wartete lieber zwei Stunden in der Wartehalle, als mich diesen vielen Menschen in der Stadt auszusetzen.
Am Abend fuhr ich dann mit dem Bus nach Porto. Vier Stunden lang konnte ich Teile der Strecke noch einmal Revue passieren lassen. Ich fuhr durch Städte, die ich zu Fuß durchschritten hatte, ich fuhr an Bergen vorbei, durch die ich mich durchgekämpft hatte. Und dann war ich wieder in Porto, wo alles angefangen hatte.
Es fühlte sich gut an.

Caminho Portugues - Kap Fisterra - weißer Sandstrand mit Felsen
Praia de Langostera

Früh am nächsten Morgen ging mein Flieger. Am Flughafen traf ich ein letztes Mal auf Annette mit der verkehrten Zeit und auf Clemens. Wir saßen im selben Flieger, aber nicht nebeneinander. Kurz nach der Landung in Köln umarmten wir einander noch einmal, bis jeder seiner Wege ging.
Ich holte meinen Rucksack, verließ die Halle und schloss meine Familie in die Arme.

Wieder zu Hause

Die Anpassung nach der Rückkehr war nicht ganz einfach. In den ersten Tagen hielt ich es drinnen nicht aus und arbeitete draußen. Die Stadt war mir zu eng, mir fehlte der Blick in die Weite, auf das Ziel, das ich am Ende des Tages erreichen wollte.
Als ich die ersten beiden Blogbeiträge schrieb, brauchte ich eine Pause vom Weg. Ich sehnte mich nach diesem einfachen Leben, dem minimalistischen Gepäck, den geringen Bedürfnissen und gleichzeitig dem Trott des Pilgeralltags: morgens aufwachen, den Rucksack packen, kurz ins Bad huschen und losziehen. Laufen, die Welt an sich vorüberziehen lassen, essen, wenn man hungrig ist und trinken, wenn man durstig ist. Einfach alles hinnehmen, wie es ist und das Beste draus machen. Und einen Schritt nach dem anderen gehen.

Caminho Portugues - Kap Fisterra - Felsen und tosende Atlantikküste
Blick auf den Leuchtturm von Kap Fisterra

Ich habe viel gelernt auf dem Weg. Das Wichtigste ist wahrscheinlich die Erkenntnis, dass der Jakobsweg das Leben im Kleinen widerspiegelt. Man trifft auf Menschen, die einem von Anfang an zu Herzen gehen und auf Menschen, die einem unsympathisch sind. Manche Menschen begleiten einen für eine sehr lange Zeit, andere bleiben nur kurz. Doch die Zeit, die man miteinander verbringt, sagt nichts über die Beziehung aus.
Man hat Phasen, in denen man glaubt, es ginge nicht weiter. Phasen voller Schmerz, Trauer und Wut. Und man hat Zeiten, in denen läuft es wie geschmiert, alles ist gut, man fühlt sich wie vom Glück geküsst. In dieser komprimierten Form weiß man, dass es immer weitergeht, auch wenn man nicht daran glaubt. Man weiß, dass man es schafft. Nicht immer einfach, nicht immer sofort, aber man schafft auch die schrecklichen Phasen. Und man erlebt auch, dass man Menschen, die man aus den Augen verloren hat, plötzlich wiedertrifft. Und dass es gut ist, wie es ist.
Es erfüllt mich mit Stolz, den Jakobsweg gegangen zu sein. Ich bin ihn gegangen und ich habe ihn geschafft. Auf all meinen bisherigen Lebensstationen konnte ich nie sicher sagen, wie groß mein eigener Anteil am Gelingen war.
Wie oft hat man einfach Glück, ist zur rechten Zeit am rechten Ort, hat Gönner, Förderer, Neider oder Menschen, die einen bevorzugen oder benachteiligen. Doch auf dem Camino geht es nicht um einen guten Tag oder einen lichten Moment, sondern um das, was ich ganz alleine geschafft habe.
Auch wenn man viel Unterstützung hatte – sei es nun mental oder durch Gepäcktransport – so ist man den Weg doch selbst gegangen. Man hat etwas geleistet, von dem viele andere Menschen träumen und etwas, das sich viele nicht trauen. Wer den Camino plant, hat eigentlich schon gewonnen.

Der Jakobsweg macht süchtig

Wenn ihr also darüber nachdenkt, dann macht es. Denkt es nicht nur, wünscht es euch nicht nur, sondern macht es. Wartet nicht auf Zeiten, die vermeintlich besser sind. Wer weiß schon, ob die jemals kommen werden. Oder ob es nicht vielleicht doch irgendwann zu spät für den Camino ist.
Aber vergesst nicht: Das Camino-Fieber ist nicht auf die leichte Schulter zu nehmen!
:)

Caminho Portugues - Kap Fisterra - Felsen mit Brandung
Und vor uns das Meer

Ich hoffe, euch hat mein Rückblick auf den Caminho Portugues gefallen. Manches ist vielleicht für Außenstehende nur mäßig interessant, dafür steigert es bei anderen die Vorfreude oder lässt den eigenen Weg noch einmal Revue passieren.
Und ich trage im Hinterkopf den Gedanken, das Ganze noch einmal in eine neue Form zu bringen und als Buch zu veröffentlichen. Aber erstmal sind jetzt andere Themen dran.

Caminho Portugues Tag 12 – Von Faramello nach Santiago de Compostela

Caminho Portugues Tag 1 – Von Porto nach Angeiras

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Caminho Portugues – Tag 12

Von Faramello nach Santiago

Caminho Portugues Tag 12 - Startbild

Als ich wach wurde, war es draußen noch dunkel. Im Schlafsaal herrschte Ruhe (zumindest das, was man bei zwölf schlafenden Menschen so bezeichnen kann). Ganz leise nahm ich meine Sachen an mich und schlich aus dem Raum. Nach einem kurzen Abstecher ins Bad ging ich barfuß nach unten und zog Socken und Schuhe an.
Im Laufe meiner Pilgerreise habe ich gelernt, die Abläufe zu perfektionieren: Der Rucksack wird schon am Abend gepackt, Zahnbürste, Zahnpasta und ein kleines Handtuch stecken in der Gürteltasche, die Schuhe stehen sowieso immer außerhalb der Räume (aus gutem Grund).

Dunkelheit

In wenigen Minuten war ich fertig und verließ die Herberge. Es war immer noch dunkel, aus der Herberge drang noch immer kein Ton. Aber ich war nicht die Einzige auf dem Weg. Ein Stückchen hinter mir kamen fünf Leute mit Stirnlampen. Die Lichtkegel hüpften auf und ab und zum ersten Mal auf meiner gesamten Pilgerreise fand ich Stirnlampen sinnvoll. Sie stehen immer wieder auf Packlisten, dabei sind sie der absolute Graus in Schlafsälen. Nichts blendet mehr, als dieser umherirrende Lichtstrahl. Taschenlampen sind viel besser, aber die hat man meist sowieso am Handy.
Die Dämmerung reichte gerade aus, damit ich nicht ins Stolpern geriet, die gelben Pfeile sah ich im Dunkeln aber erst im letzten Augenblick. Hinter dem Ort ging es erst die Straße entlang, dann in ein Waldstück. Um nicht über Wurzeln zu stolpern, zückte ich die Taschenlampe meines Handys.

Caminho Portugues Tag 12 - Plakat im Wohngebiet
Anwohnerproteste

Die Lichtkegel hinter mir kamen immer näher und ich fühlte mich ein wenig mulmig. Sie waren zu mehreren, ich war allein. Weit und breit waren keine anderen Menschen, und bis die ersten Pilger aus meiner Herberge hier vorbeikommen würden, ginge noch einige Zeit ins Land. Mein Handy spendete nicht nur Licht, sondern auch ein wenig Sicherheit.
Doch hinter dem Waldstück überholten mich die Männer und ich konnte in Ruhe weitergehen. Mir war kein Verbrechen an einer Pilgerin bekannt, im Gegenteil, ich hatte ausschließlich positive Erfahrungen gemacht. Aber eine Restunsicherheit bleibt.
Die letzten Kilometer liefen sich quasi von allein. Neben der Herberge in O Milladoiro verspeiste ich das letzte Pilgerfrühstück, zu deutlich höheren Preisen als bisher. Klar, ich befand mich schließlich schon in einem Vorort von Santiago de Compostela. Nur noch sechs Kilometer bis zur Kathedrale, nur noch etwas mehr als eine Stunde Jakobsweg.

Caminho Portugues Tag 12 - Zettel auf Kilometerstein
Motivationszettel

Der Weg führte durch Waldstücke und an der Straße entlang, durch Wohngebiete und an Gärten vorbei. Und natürlich erging es mir in Santiago wie in jeder anderen Stadt auf dem Weg: Ich verlor die gelben Pfeile aus den Augen. Aber hier war es egal. Ich musste einfach nur bis zur Kathedrale kommen, und wenn ich auf den letzten hundert Metern durch die Stadt irrte und nicht mehr auf dem Jakobsweg ging, war das absolut egal.
Schön war es in der Stadt nicht mehr. Die Cafés am Straßenrand wurden touristisch und austauschbar, die Stadt war voll und laut und hatte absolut kein Flair.

Licht

Rucksäcke prägen das Bild des Jakobsweges und bekommen auf dem Weg eine besondere Bedeutung. Zu jedem Rucksack gehörte ein Pilger, und jeder Pilger konnte ein neuer Freund sein. Oder ein alter.
Und die drei Rucksäcke, die ich in diesem einen kleinen Café am Straßenrand entdeckte, kannte ich.
»Hallo Melanie!«
Regina, Heike und Marianne, die drei Pfälzerinnen!
Wir hatten nicht nur in der gleichen Minute unsere Jakobswege begonnen, wir würden sie nun auch gemeinsam beenden.
Die drei hatten wie geplant ihre komplette Ausrüstung dabei. Trotz schmerzender Schulter und offener Blasen würden sie den Weg beenden, wie sie ihn begonnen hatten.
Aber wir würden trotzdem nicht mehr die Gleichen sein.

Caminho Portugues Tag 12 - zwei Wegweiser in Santiago
Die letzten Kilometersteine

Wir quetschten und schoben uns an Menschen vorbei, irgendwo im Hintergrund war die Kathedrale, ab und zu fanden wir einen gelben Pfeil. Es war chaotisch und völlig anders, als ich mir ausgemalt hatte. Wir gingen durch enge Gassen und über Straßen, folgten anderen Menschen mit und ohne Rucksack – und standen plötzlich vor der Kathedrale.
Es war kein langsamer, emotionaler Einmarsch wie in meiner Vorstellung, sondern eher ein: »Wie – sind wir jetzt da?«
Erst als ich um 10:30 Uhr in der Mitte des Platzes stand, begann ich zu begreifen.

Caminho Portugues Tag 12 - Die Kathedrale in Santiago de Compostela
Die Kathedrale in Santiago de Compostela

Ich war da. Ich hatte es geschafft. Ich hatte 260 Kilometer zu Fuß hinter mich gebracht, um hier anzukommen. Um vor dieser Kathedrale zu stehen und von Gefühlen überrannt zu werden. Ich hatte Tränen in den Augen und wusste nicht, warum. Wir fielen uns in die Arme, gratulierten uns, machten Fotos in allen möglichen Positionen und Kombinationen und langsam begann ich es zu begreifen: Ich war den Jakobsweg gegangen. Alleine, zu Fuß und mit allem, was ich brauchte, in meinem Rucksack.
Es gab Tage mit Schmerzen und Tage ohne. Ich hatte vor Wut, Schmerz und Erschöpfung geheult, aber auch vor Glück. Ich hatte tolle Begegnungen gehabt, war in strömendem Regen gelaufen und bei großer Hitze. Und auch wenn ich morgens nie wusste, wo ich abends schlafen würde, habe ich doch immer ein Bett gefunden. Meistens sogar dort, wo ich es gewünscht habe.

Hinter mir lag ein unglaubliches Abenteuer und ich wusste: Das war mein erster Camino, aber nicht der letzte. Wer einmal von dem Virus infiziert wurde, wird ihn nicht mehr los. Wie oft habe ich schon vom Ruf des Camino gehört?
Und auch mich ruft er. Mal lauter und mal leiser und jetzt, wo ich diese Zeilen schreibe, ziemlich laut.

Diese eine Gelegenheit

Da ich nicht reserviert hatte, sollte ich mir schleunigst einen Schlafplatz suchen.
Das war in Santiago längst nicht so einfach wie auf dem Weg, aber ich hatte Glück. Wieder einmal. Denn ich landete in einem Hostel, das sehr beliebt und deshalb oft schon Tage im Voraus ausgebucht ist. An der Rezeption traf ich Annette aus Frankfurt mit den vertauschten Wochentagen. Auch sie war kurz zuvor angekommen.
Nach der Dusche und der obligatorischen Handwäsche meiner Wandersachen zog es mich zurück zur Kathedrale. Ich setzte mich auf den Boden und genoss das Leben um mich herum. Im Minutentakt erreichten Pilger die Kathedrale, sanken auf die Knie, weinten, fielen sich in die Arme, jubelten, lachten und küssten. Weggefährten trafen sich wieder, Rucksäcke und Fahrräder wurden in die Höhe gehoben, Fotos gemacht und über allem lag der Klang des Dudelsackspielers.

Caminho Portugues Tag 12 - Rucksack vor Kathedrale
Mein treuer Gefährte vor der Kathedrale in Santiago

Silvie und Laura hielten ihre Compostelas in der Hand, Nino und Melissa saßen erschöpft auf dem Platz, Stefan lag auf dem Kopfsteinpflaster, an seinen Rucksack gelehnt. Die namenlose Polin eilte vorüber. Piet, der Holländer. Wir alle gratulieren uns, umarmten einander und waren stolz und glücklich, angekommen zu sein.
Da ich nicht gläubig bin und auch keiner Kirche angehöre, verzichtete ich auf einen Besuch in der Kathedrale und wollte mir auch keine Compostela holen. Das war mir schnell klar und hatte sich während des Weges auch nicht geändert.
Aber was hatte ich auf dem Camino gelernt? Mach keine Pläne. Es kommt sowieso alles anders.
Stefan sagte einen wichtigen Satz zu mir: »Du hast nur diese eine Gelegenheit, dir die Compostela zu holen. Vielleicht ärgerst du dich irgendwann.«
Das war rational genug, um mich zu überzeugen. Also stellte ich mich in die lange Schlange der Wartenden vor dem Pilgerbüro. Man liest von Wartezeiten von zwei Stunden und mehr – nur für diesen katholischen Schnickschnack?
Doch plötzlich war es mir das wert und ich kann nicht einmal sagen, warum.
Alex stand in der Schlange und wir verkürzten uns die Zeit mit Gesprächen über den Weg, unsere Erlebnisse und das Danach. Alex traf auf dem Weg wichtige Entscheidungen, die ihr Leben in eine neue Richtung lenken würden.
Ich wollte nichts ändern, dafür aber das, was ich haben, wieder mehr schätzen.

Ich war da!

Später trank ich mit Heike, Regina und Marianne noch ein letztes Pilgerbier und traf eine Entscheidung.
Der Weg nach Fisterra, zum Kap Finisterre, musste nicht mit einer zehnstündigen Busfahrt für dreißig Euro gemeistert werden. Man konnte mit dem Linienbus in drei Stunden hinfahren, dort übernachten und wieder zurückkommen. Und genau das würde ich am nächsten Tag machen. Ich besorgte mir einen Fahrplan und buchte auch gleich die Rückreise nach Porto zwei Tage später.
Später gingen wir noch Essen, teilten uns Tortilla und Pimientos de Padron, genossen den Sommerabend, sprachen über den Weg und unser Leben zu Hause und wünschten uns von Herzen alles Gute.
Santiago war voller Menschen, auch am Abend erreichten Pilger die Stadt, man sah Menschen mit bandagierten Füßen, ausgelassen, glücklich und entspannt.
Ich hatte es geschafft.
Ich war in Santiago!

Caminho Portugues Epilog – Fisterra

Caminho Portugues Tag 11 – Von Valga nach Faramello

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Caminho Portugues – Tag 11

Von Valga nach Faramello

Caminho Portugues Tag 11 - Startbild

Noch fünfunddreißig Kilometer bis nach Santiago.
Ob Stefan sein heutiges Ziel erreichen würde? Als ich morgens um acht die Herberge verließ, schlief er jedenfalls noch. Renate und Alex begannen ihren Tag langsam, die Polin ohne Namen war schon weg. Diesmal war mein Frühstück nur vier Kilometer, also eine gute Stunde Fußweg, entfernt. Kaum hatte ich mein Bocadillo verspeist und den Café con Leche getrunken, kam auch Alex um die Ecke.

Wie geht es meinen Pilgerfreunden?

Von Birgit kam eine Nachricht: Sie war gemeinsam mit zwei anderen, die ich noch aus der Herberge in Rates kannte, in Santiago angekommen.
Wie es wohl Marianne, Heike und Regina ging? Sie hatten sich fest vorgenommen, trotz Gepäcktransport unterwegs, zumindest den Einmarsch in Santiago mit Sack und Pack zu meistern.
Und auch all die anderen, die ich unterwegs kennengelernt hatte: Wie ging es ihnen? Wer war ebenfalls schon in Santiago, wer war noch hinter mir? Hatte womöglich jemand aufgeben müssen?

Caminho Portugues Tag 11 - Brücke bei Pontecesures
Brücke bei Pontecesures

Der nächste größere Ort war Pontecesures. Witzigerweise traf ich dort Silvie und Laura, die beiden Schweizerinnen. Auch Pontecesures ist ein Ort, der einen längeren Aufenthalt verdient. Die alten Gebäude und vielen Cafés am Weg laden zum Verweilen ein, doch ich holte mir nur kurz ein Eis und ging weiter.
In Padron erkennt man schnell den Abzweig nach Herbon, den ich aber ignorierte. Für eine erneute Übernachtung war ich noch gar nicht weit genug gegangen, ich war ja gerade erst warm geworden!

Von Glück und Schokolade

Die Wegführung durch Padron ist ziemlich nett, man wird durch die Altstadt und eine kühle, schattenspendende Allee geführt. Entsprechend saßen natürlich einige Pilger am Wegesrand und machten eine Pause. Und wen traf ich da? Renate aus der Herberge! Sie winkte mir zu und überreichte mir ein kleines Päckchen: meine Schokolade aus dem Kühlschrank!
Ich musste wieder an das vierblättrige Kleeblatt hinter Tui denken. Sachen gibt es, die gibt es gar nicht!
»Ich habe die Schokolade mitgenommen, bevor sie weggeschmissen wird. Außerdem hatte ich darauf vertraut, dass wir uns wieder sehen.«
Wir teilten uns die Schokolade, aßen noch einen Riegel zusammen und ich ging weiter. Renates Etappenziel war das Konvent in Herbon, ich wollte noch weiter nach Faramello.

Caminho Portugues Tag 11 - Schuhe auf Kilometerstein
Symbolbild

Der Weg führte wenig attraktiv über mehrere Kilometer an der Bundesstraße entlang. Es war heiß und laut, nur ab und zu kam ein kleiner Ort. In einem kleinen, engen und sehr ursprünglich wirkenden Dörfchen machte ich eine Pause auf einem großen Stein, um meine Füße zu lüften. Hunde und Katzen kamen und gesellten sich zu mir, offensichtlich saßen auf diesem Schattenplatz öfter Pilger.
Frisch gestärkt ging ich weiter, bis ich hinter mir Schritte hörte. Da war ja jemand ganz schön schnell unterwegs! Mit einem fröhlichen »Hallo!« überholte mich Stefan.
»Und, schaffst du es heute noch bis Santiago?«, fragte ich und er lachte. »Es läuft gerade ziemlich gut. Ich denke schon.«
Kurz darauf war er weg und ich wieder allein.

Genug für heute

Der lange Weg in der Hitze an der Bundesstraße hatte mich mürbe gemacht. Meine Füße schmerzten, nur ein kurzes Stück führte durch Eukalyptuswald und war eine echte Erholung für die Gelenke. Trotzdem hatte ich für heute genug. Mein Ziel war die erstbeste Herberge, denn mittlerweile waren es noch weniger als achtzehn Kilometer bis Santiago. Zu viel für diesen Tag, ganz schön wenig für den nächsten. Denn eigentlich hatte ich alle Zeit der Welt.

Caminho Portugues Tag 11 - Eukalyptuswald
Eukalyptuswäldchen

Als ich nach dem Duschen meine Wäsche auf die Leine im Garten hängte, wurde ich von Piet, dem Holländer, begrüßt. Nach der Diskussion mit der Hospitalera war er einfach zur nächsten Herberge weitergegangen. Später kam noch Alex dazu und wir aßen gemeinsam zu Abend, redeten über unseren Weg und das, was er mit uns gemacht hatte.
So endete mein letzter kompletter Pilgertag. Am nächsten Tag würde ich Santiago erreichen.

Caminho Portugues Tag 12 – Von Famarello nach Santiago

Caminho Portugues Tag 10 – Von A Portela nach Valga

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Caminho Portugues – Tag 10

Von A Portela nach Valga

Caminho Portugues Tag 10 - Startbild

Die Nacht in der tollen Herberge in A Portela war schlecht.
Manche redeten noch bis weit nach Mitternacht, die Ersten begannen um sechs Uhr mit dem Aufbruch.
Da die sanitären Anlagen definitiv nicht für dreißig Leute ausgerichtet waren, schnappte ich schnell mein Zeug, putzte draußen am Waschbecken meine Zähne und lief los. Ich war sonst zwar auch immer ziemlich schnell beim Aufbruch, aber noch nie so schnell wie in A Portela.

Das war auch ganz gut so, denn so hatte ich wieder viel Ruhe auf dem Weg. Mittlerweile waren es nur noch sechsundfünfzig Kilometer bis nach Santiago – theoretisch war das sogar in zwei Tagen zu schaffen. Aber ich hatte schließlich noch Zeit, wollte mich nicht unnötig abhetzen und wollte ehrlich gesagt auch noch gar nicht, dass das Erlebnis Jakobsweg so schnell zu Ende ging.

Pimientos und mehr aus Padron

Das Kloster Herbon liegt bei Padron, etwa fünfundzwanzig Kilometer vor Santiago und ist ein sehr beliebtes Ziel. Es erfordert ab Padron einen kleinen Umweg von drei Kilometern, bietet dafür aber ein ganz besonderes Flair. Man schläft dort in einem Kloster und kann ein wenig Mönchsluft schnuppern. Außerdem nahm dort die Jakobuslegende im elften Jahrhundert ihren Anfang. Für gläubige oder historisch interessierte Pilger also definitiv eine Empfehlung.
Außerdem sind dort die »Pimientos de Padron« beheimatet, eine Leckerei, die ich leider erst an meinem letzten Tag kennenlernen sollte.
Ich wollte ungern diese dreißig Kilometer bis nach Padron laufen und peilte Valga oder Pontesecures an, des entsprach meinen täglichen zwanzig bis fünfundzwanzig Kilomtern.

Caminho Portugues Tag 10 - Weg im Schatten
Nicht untyptischer Wegeverlauf

Diesmal musste ich für mein Frühstück nur acht Kilometer laufen. Direkt am Weg gab es ein großes Café, dessen Bedienung wohl sieben Sprachen beherrscht – sein Deutsch war zumindest so gut, dass wir uns ganz normal unterhalten konnten. Zu meiner Überraschung war Clemens schon da und hatte sein Frühstück gerade beendet, um weiterzugehen. Ich hatte wirklich geglaubt, als Erste die Herberge in A Portela verlassen zu haben. Aber er war noch vor mir aufgestanden und machte sich nun weiter auf den Weg.
Ich bestellte einen Café Con leche und ein Bocadillo mit Käse und Schinken für 3,50 €. Diese Preise machten es unnötig, mich selbst zu versorgen. So ersparte ich mir die Suche nach Supermärkten, konnte die heimische Küche testen und ein bisschen für die spanische und portugiesische Wirtschaft tun. Mein Tagesbudget von dreißig Euro habe ich jedenfalls bis auf zwei Tage (einer davon in Santiago) stets unterschritten, teilweise deutlich. Darin war alles enthalten: Übernachtung, Waschen, Getränke und Kaffee unterwegs und Essengehen am Abend.

Vom großen Glück

Der nächste größere Ort war Caldas de Reis.
Nach meinem Frühstück ging es weiter. Ich war jetzt zehn Tage unterwegs, Kopf und Körper hatten sich an den Pilgeralltag gewöhnt. Morgens stand ich früh auf, machte mich schnell fertig und ging los. Mir tat nichts weh, die Einstellung am Rucksack passte mittlerweile perfekt, ich spürte ihn kaum. Füße und Beine wussten, was sie zu tun hatten und der Kopf hing einfach seinen Gedanken nach. Probleme und Gedanken, die man so mit sich herumschleppt, lösten sich in Luft auf, meine Arbeit am Roman war weit weg und ich hatte viel Zeit, über mich und den Weg nachzudenken.
Kurz vor Caldas de Reis liefen wie aus dem Nichts Tränen. Wie ein Schlosshund heulte ich, ließ die Tränen laufen, ging einfach weiter und genoss dieses unfassbare Glück.
Ich habe drei gesunde Kinder, einen Beruf, der mich ausfüllt und einen wunderbaren Mann an meiner Seite, der mir völlig selbstlos das Abenteuer Jakobsweg ermöglicht. Meine Eltern und Schwiegereltern sind gesund, und zu diesem Zeitpunkt hatte ich sogar noch zwei Omas, beide über neunzig Jahre alt.
Das ist pures, echtes Glück. Das ist wichtig im Leben und ich werde nie vergessen, wie sich dieser Moment vor Caldas de Reis anfühlte.

Caminho Portugues Tag 10 - Kirche, umgeben von Palmen
Kirche, umgeben von Palmen

Auch dieser Tag wurde wieder sehr heiß, der Weg führte durch Wiesen und Auen und kleinere Orte und bot kaum Schatten. Nachdem ich mich hinter Caldas de Reis einige Kilometer bergauf in einen Ort geschleppt hatte, plante ich eine längere Pause mit frischem Orangensaft und einem großen Café con Leche.
Der Garten des Cafés lag im Schatten von Bäumen, und diese Pause fühlte sich wirklich nach einer kleinen Auszeit an. Auch Piet aus Holland war da und wir tauschten locker Pilgererfahrungen aus.
Die Landschaft bot jedoch wenig Abwechslung. Ich lief durch einen Ausläufer der Pyrenäen (das Kantabrische Gebirge), sodass ich eigentlich den ganzen Tag lang öde braune Berge vor, hinter und neben mir erblickte. Auch die Hitze machte das Laufen an diesem Tag wenig attraktiv und ich quälte mich mit dem Mantra »walk, eat, sleep, repeat« an der Bundesstraße entlang. Das machte keinen Spaß mehr, also nahm ich den Abzweig zur öffentlichen Herberge in Valga.

Starre Regeln

Auf dem Weg zur Rezeption traf ich auf einen wütenden Piet. »Ich gehe wieder, sowas Unfreundliches habe ich noch nie erlebt!«
Er diskutierte noch ein wenig mit der Hospitalera, nahm seine sechs Euro wieder entgegen und verließ die Herberge. Stein des Anstoßes war die Bettenbelegung. In den meisten Herbergen darf man sich seinen Schlafplatz aussuchen und ich war oft früh genug da, um mir einen Platz an der Wand auszusuchen. Außerdem sind die unteren Betten beliebter als die oberen, denn mit schmerzenden Füßen und wehen Muskeln mag man einfach nicht so gern auf den schmalen Leitern klettern.

Caminho Portugues Tag 10 - Skulptur Pilger mit schmerzenden Füßen
Pilgerfeeling in Valga

Hier jedoch wurden die Betten streng zugewiesen: Der erste Pilger muss in Bett eins schlafen, der zweite in Bett zwei, der dritte in Bett drei. Piet war der zweite Pilger und sollte deshalb das obere Bett nehmen. Er wollte aber aus verständlichen Gründen unten schlafen, was die Hospitalera schlichtweg nicht erlaubte (und auch kontrollierte). In dem Schlafraum standen zwölf Betten, die Herberge hat insgesamt achtundsiebzig Betten, und trotzdem war es nicht möglich, dass Piet ein unteres Bett bezog. Das war tatsächlich auch für mich das negativste Herbergserlebnis, denn diese Frau war unglaublich unflexibel und sehr unfreundlich. Statt unsere Fragen zu beantworten, daddelte sie am Handy.
Da Piet nun wieder gegangen war, war ich Pilgerin Nummer zwei und musste das obere Bett belegen. Immerhin wusste ich jetzt, dass ich mir eine Diskussion darüber sparen konnte.
Natürlich ist es immer schön, wenn man ein Bett für sich allein hat. Denn je nach Zustand wackelt das ganze Bett, wenn sich die Person über oder unter einem umdreht.
Um die Absurdität dieses Vorgehens zu unterstreichen, schliefen in dieser Nacht nur insgesamt fünf Pilger in der gesamten Herberge. Aber dafür haben wir auch nur drei Stockbetten belegt. Die ungeraden Zahlen lagen unten, die geraden oben.

Caminho Portugues Tag 10 - Bierflasche Peregrina
Nomen est Omen

Außer mir waren noch eine junge Polin dort, Renate, die alles sehr langsam anging, Stefan aus der Herberge in A Portela sowie Alex. Den Spätnachmittag verbrachte ich mit Stefan und Alex, aß den Rest meines Babybreis mit frischem Obst und wir teilten uns Stefans Nudeln mit Tomatensauce. Ich spendierte Schokolade und legte den Rest für den nächsten Tag in den Kühlschrank.
Stefan überlegte, bis nach Santiago durchzulaufen, ich wollte mir, genau wie Alex, noch zwei Tage Zeit lassen. Mittlerweile freute ich mich auf Santiago und malte mir aus, wie sich das Ankommen an der Kathedrale wohl anfühlt.

Caminho Portugues Tag 10 - Blick über das Gebirge
Toller Ausblick etwas abseits der Herberge

Caminho Portugues Tag 9 – Von Arcade nach A Portela

Caminho Portugues Tag 11 – Von Valga nach Faramello

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Caminho Portugues – Tag 9

Von Arcade nach A Portela

Caminho Portugues Tag 9 - Startbild

Nur noch 80 km bis nach Santiago, also etwa vier Tage.
Den größten Teil meines Jakobsweges habe ich also schon hinter mir und ich kann es immer noch nicht glauben!
Da Portugal in einer anderen Zeitzone liegt, lief ich dort morgens immer im Hellen los. In Galicien dagegen dämmert es um sieben Uhr noch, und auch den neunten Tag startete ich im Halbdunkel.
Die Dämmerung hüllte die Welt in ein besonderes Licht, alles wirkte ein wenig unwirklich, mir begegneten kaum Menschen. Das Krähen der Hähne und das Bellen der Hunde begleitete mich durch das hübsche Städtchen. Arcade liegt sehr idyllisch zwischen der Bucht von Vigo und den Ausläufern des Kantabrischen Gebirges, ist aber nicht touristisch erschlossen und damit noch sehr ursprünglich.

Caminho Portugues Tag 9 - Die Brücke von Arcade
Arcade früh am Morgen

Diese ersten Stunden des Tages genoss ich sehr, zumal die angekündigte Hitze noch auf sich warten ließ. Ich lief mehrere Kilometer durch eine Flussaue, lauschte den Fröschen beim Morgenkonzert und beobachtete, wie der Nebel sich langsam verzog. Für mich waren diese frühen Stunden immer die schönsten.

Hunger

Leider hatte das in meinem Wanderführer angekündigte Café um diese Uhrzeit noch geschlossen. Meinen Babybrei mochte ich nicht mit dem wenigen Wasser anrühren, die Nüsse als Zwischensnack waren leer und Obst hatte ich keines gekauft.
Nach zwei Stunden wurde der Hunger sehr unangenehm, und ich hätte wirklich gern einen Kaffee gehabt. Der nächstgrößere Ort war das mehrere Kilometer entfernte Pontevedra. Eine mittelgroße Stadt mit historischem Ortskern und guter Pilger-Infrastruktur.

Caminho Portugues Tag 9 - gelber Pfeil in der Flussaue
Achtung, nicht stoßen!

Ich lief und lief, aber die Stadt kam nicht näher. Ein weiterer Complementario, also ein Nebenweg, lockte mich weg von der Straße in eine Flussaue. Von hinten überholten mich Pilger, von vorne kamen mir Jogger entgegen. Inzwischen war mir schwindelig und ich versuchte, durch Wassertrinken in Schwung zu bleiben. Was sollte ich auch anderes tun?
Obwohl ich mich mittlerweile in der Vorstadt befand, gab es weit und breit keine Möglichkeit, etwas zu essen zu kaufen. Der Weg entlang des Flusses war schön, aber dafür hatte ich keinen Blick mehr. Ich war schlapp und merkte, dass mein Kreislauf rebellierte. Bitte keinen Schwächeanfall fernab der Straße!
Endlich erreichte ich Pontevedra. Mittlerweile war es später Vormittag und ich war schon drei Stunden unterwegs, ohne etwas gegessen zu haben. Der Jakobsweg führt mitten durch die Stadt, gleich am Ortseingang fand ich eine Herberge mit einer Bar zum Frühstücken.
Puh!
Ich bestellte mir einen großen Café con leche, eine Tortilla und einen frischgepressten Orangensaft. Für dieses Frühstück musste ich zwölf Kilometer laufen!
Ich zog Schuhe und Strümpfe aus und beobachtete die vorbeiziehenden Pilger. Zu meiner großen Freude kamen auch Nino und Melissa vorbei, die ich schon längst weiter vorn vermutet hatte. Sie setzten sich zu mir und wir verquatschten uns eine ganze Weile, was für mich eher untypisch war. Meine Pausen waren eigentlich immer ziemlich kurz, mir machte das Gehen mehr Spaß als das Sitzen.

Pontevedra

Da ich schon am Ortseingang eine längere Pause eingelegt hatte, hatte ich nur wenig Muße für die schöne Stadt. Mich zog es weiter, wieder raus in die Natur. Aber auch die etwas heikle Herbergssituation hat ihren Anteil an meiner Eile.
Die von mir angepeilte Herberge in A Portela hat nämlich nur sechzehn Betten und ist entsprechend schnell belegt. Zum Glück kann man nicht reservieren, sonst wäre sie vermutlich immer schon Tage im Voraus ausgebucht – so wie die Herberge von Fernanda in Portugal.

Caminho Portugues Tag 9 - Landschaft mit Bergen
Irgendwo hinter Pontevedra

Mittlerweile war es wirklich heiß geworden, wieder knapp dreißig Grad. Diese Hitze schlaucht natürlich, außerdem musste ich mal wieder einen Berg überwinden. Bei der Planung des Weges war mir nicht bewusst gewesen, wie bergig der gesamte Caminho Portugues doch ist.
Mir begegneten nur wenige Pilger und ich konnte mich ganz auf mich und den Weg konzentrieren. Ich lief und lief und lenkte mich durch das Hören eines Hörbuchs von der Anstrengung ab (Die Känguru-Chroniken – die beste Ablenkung ever!).

A Portela

Völlig verschwitzt und total im Eimer erreichte ich die Herberge in A Portela. Sie liegt idyllisch abseits des Weges auf einem großen Grundstück hinter einem Kloster. Einzelne Pilger saßen frisch geduscht im Garten und ich konnte nur noch erschöpft fragen: »Do you have a bed for me?«.
Sie hatten. Yeah!
Ich hatte schon in meinem Wanderführer davon gelesen, aber diese Herberge ist wirklich etwas ganz Besonderes. Die Hospitaleros erinnern an Hippies aus den Sechzigern, im Garten gab es viele Sitzmöglichkeiten unter einem großen Baum, Indie-Rock lief in angenehmer Lautstärke. Im vorderen Bereich spielte jemand Gitarre und sang. Hier fühlte ich mich wohl wie schon lange nicht mehr. Und dann wurden wir auch noch bekocht!

Caminho Portugues Tag 9 - Tausende Namen auf einer Wand
Pilger aus der ganzen Welt haben sich hier verewigt

An einer langen Tafel saßen wir mit knapp dreißig Leuten (für eine polnische Gruppe war ein Nebengebäude mit Matratzen geöffnet worden), aßen Eintopf, Salat und Tortilla und tranken Vino Tinto. Die Stimmung war völlig gelöst und entspannt und ich lernte wieder neue Pilger kennen: Piet, ein Holländer mit viel Pilgererfahrung, Stefan, der erst kurz zuvor den kompletten Camino del Norte gegangen war und Clemens, der mittlerweile schmerzfrei war. Auch Nino und Melissa waren hier und unterhielten sich angeregt mit den Polen.
Wer das Besondere auf dem portugiesischen Jakobsweg sucht, sollte auf jeden Fall in der Herberge in A Portela Halt machen. Diese Herberge und die Herberge in Rates (Tag zwei) vermitteln ein ganz besonderes Pilgerfeeling, das man auf diese Art sonst nicht findet.

Caminho Portugues Tag 9 - Die Herberge in A Portela
Die Herberge in A Portela

Caminho Portugues Tag 10 – Von A Portela nach Valga

Caminho Portugues Tag 8 – Von O Porrino nach Arcade

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Caminho Portugues – Tag 8

Von O Porrino nach Arcade

Caminho Portugues Tag 8 - Startbild

Nur noch 99 Kilometer bis Santiago!
Ich verließ zwar als erste meinen Schlafsaal in O Porrino, traf aber unterwegs bereits auf einige andere Pilger. Morgenstund hat nicht nur Gold im Mund, sondern auch wunderschöne Ausblicke. Manches Mal wanderte ich durch Frühnebel, der eine ganz besondere Stimmung zaubert.
Für die kommenden Tage waren Temperaturen bis 30 Grad gemeldet. Im Mai! Aber meine Ausrüstung war in puncto Sonnenschutz besser als beim Regenschutz. Hinter O Porrino wurde es wieder ländlicher, und mittlerweile waren so viele Pilger auf dem Jakobsweg, dass eigentlich immer jemand in Sichtweite war.

Mutterfreuden auf dem Jakobsweg

Unterwegs lernte ich Michelle aus Brandenburg kennen. Die Gespräche waren so anregend, dass die Kilometer nur so vorüberflogen. Michelle freute sich, endlich eine Pilgerin mit jungen Kindern zu treffen. Mir ging es ähnlich. Die meisten Frauen, die ich unterwegs traf, hatten entweder noch keine Kinder, oder die Kinder waren längst aus dem Haus. So richtig aufgefallen ist mir das allerdings erst durch die Gespräche mit Michelle. Die Altersgruppe zwischen 35 und 45 Jahren war tatsächlich unterrepräsentiert. Wir sprachen über unsere Kinder, das Vermissen und die Schwierigkeiten, sich eine zweiwöchige Auszeit nehmen zu können. Das erklärt natürlich auch, warum so wenige Eltern schulpflichtiger Kinder unterwegs waren.
Da ich unterwegs kein Internet hatte, meldete ich mich immer erst abends aus der Herberge bei meiner Familie. Ich schickte ein paar Bilder, schrieb kurz vom Tag und berichtete, wo ich war. Mehr Kontakt fand nicht statt, was zumindest für mich gut war. Ich glaube, dass ich nach einem Telefonat oder einer Sprachnachricht meine Familie ganz furchtbar vermisst hätte.
Aber wir kamen alle ganz gut so zurecht.

Caminho Portugues Tag 8 - Morgennebel
Morgennebel hinter O Porrino

Auf einem anderen Abschnitt traf ich Annette aus Frankfurt. Sie musste herzlich lachen, als ich ihr von meiner »Zeitlosigkeit« erzählte. Zwar wusste ich jeden Tag, wo ich in etwa hingehen wollte – aber häufig wusste ich noch nicht einmal, welchen Wochentag wir hatten, von einem Datum ganz zu schweigen.
Diese Zeitlosigkeit ist der beste Beleg, dass ich vollkommen im Hier und Jetzt lebte und wunderbar abschalten konnte.
Eine dritte Pilgerin gesellte sich zu uns und erzählte, dass sie wahrscheinlich am Mittwoch in Santiago ankommen würde. Annette war entsetzt. Neunzig Kilometer in zwei Tagen! Warum?
Wir sahen Annette an, dann musste ich furchtbar laut lachen.
»Annette, wir haben Samstag! Das sind vier gemütliche Tage!«
»Samstag?« Sie starrte uns an. »Ich dachte, wir hätten Montag! Ich habe meinen Kindern heute morgen eine Nachricht geschickt, dass sie das Frühstücksbrot für die Schule nicht vergessen!«
Tja, da war Annette wohl noch zeitloser als ich …

Zu viele Menschen

Mein eigentliches Etappenziel für diesen Tag war Redondela.
Das Städtchen sollte sehr hübsch sein, einen Strand haben und ausreichend viele Pilgerherbergen. Schon von weitem hatte man einen atemberaubenden Blick auf die Stadt, die an einem Ausläufer des Atlantiks liegt (Ria de Vigo). Bei dieser Hitze das perfekte Etappenziel!
Um kurz nach zwölf erreichte ich Redondela. Michelle hatte sich unterwegs zu ihr bekannten Pilgern in ein Café gesetzt, und ich ging in die Innenstadt, wo ich Nadine mit den beiden Schweizerinnen Sylvie und Laura traf. So tranken wir noch einen Kaffee zusammen, während Scharen von Pilgern an uns vorüberzogen.
Auch die fünf Brasilianer von Tag fünf waren dabei, sowie das britische Lehrerehepaar (die vielleicht gar keine Lehrer sind, aber manche Klischees wollen eben bedient werden). Als ich den dreien von der Rucksackreihe erzählte, lachten sie – vor einer der Herbergen standen bereits Rucksäcke aufgereiht und die Pilger warteten auf Einlass.
Puh, darauf hatte ich gar keine Lust.
Und weil mir Redondela ohnehin zu voll, zu laut und zu eng war, schulterte ich meinen Rucksack und ging weiter.

Caminho Portugues Tag 8 - Brücke Puente de Rande bei Vigo
Puente de Rande bei Vigo

Der nun folgende Abschnitt war definitiv einer der schönsten auf dem gesamten Camino. Es war zwar heiß, aber ich lief nahezu alleine. Die meisten Pilger waren in Redondela geblieben und würden erst am nächsten Morgen diesen Weg gehen.
Immer wieder blieb ich stehen und genoss die Landschaft, machte Fotos und fühlte mich endlich wieder so wie an den ersten Tagen in Portugal. Es ging teilweise steil bergauf, ich kämpfte mich nach oben, schwitzte wie verrückt und war einfach nur glücklich.

Caminho Portugues Tag 8 - Eine Wand voller Muscheln
Mein Begleiter vor der berühmten Muschelwand

Bergab wurde ich mit wunderbaren Ausblicken auf die Bucht von Vigo beschenkt und fühlte mich wie im Paradies. Außerdem stachelten mich die steinernen Wegweiser an. Stück für Stück kam ich Santiago näher und ich wollte unbedingt einen Kilometerstein mit der Kilometerzahl achtzig sehen. Der stand in Arcade, und dort blieb ich.
Wahnsinn! Noch vor wenigen Tagen hatte ich angezweifelt, überhaupt bis nach Spanien zu kommen. Und jetzt war ich schon so nah ans Santiago, es war unfassbar! Und ich fühlte mich noch so fit, so voller Elan und war mir ziemlich sicher, diese vier Tage auch noch zu schaffen.

Caminho Portugues Tag 8 - Blick auf die Bucht von Vigo
Blick auf die Bucht von Vigo

Ein Bett mit Bettwäsche

Da Arcade keine öffentliche Herberge hat, schlief ich das erste Mal in einer privaten. Ein absoluter Luxus mit Kojen statt Stockbetten und Bettwäsche für nur zwölf Euro! Außerdem war ich mal wieder die erste Pilgerin und konnte mir ein Bett aussuchen. Natürlich nahm ich eines, das ein bisschen abseits stand. Als ich nach dem Duschen und Wäschewaschen endlich Internet hatte, kam die nächste Freude: Marianne, Regina und Heike waren ebenfalls in Arcade!
Wir trafen uns in einem Restaurant mit Blick aufs Meer zu einem leckeren spanischen Essen. Es tat so gut, die drei wiederzusehen. Ich hatte sie richtig ins Herz geschlossen, zumal Birgit schon eine Tagesetappe weiter war als ich.
Vielleicht liegen einem die Pilger vom Anfang des Weges so besonders am Herzen, weil man sie kennenlernt, wenn noch alles neu, ungewohnt und sehr spannend ist. Wenn man seinen Trott gefunden hat, sind nicht mehr die Erwartungen interessant, sondern das unmittelbare Erleben.

Caminho Portugues Tag 8 - Kilometerstein in Arcade: 80 km
80,620 km

Leider ging es den dreien nicht so gut wie mir. Eine stark schmerzende Schulter und offene Blasen führten dazu, dass sie den Weg nicht wie geplant gehen konnten. Der Transport ihrer Rucksäcke war eine gute Lösung, führte aber dazu, dass sie jeden Tag im Vorfeld die Herberge buchen mussten. Das setzt zum einen unter Druck, zum anderen fehlt aber auch die Gemeinschaft mit den anderen Pilgern. Denn die ist in den öffentlichen Herbergen am engsten.
Deshalb unterschieden sich auch unsere Pläne für den nächsten Tag: Während ich rund zwanzig Kilometer nach A Portela laufen wollte, mussten die drei noch ein Stück weiter, da man in der dortigen Herberge nicht reservieren kann.
Es war ein schöner Abend und ich genoss die Nacht in einem normalen Bett, ohne Schlafsack und beinahe allein.

Caminho Portugues Tag 7 – Von Valenca do Minho nach O Porrino

Caminho Portugues Tag 9 – Von Arcade nach A Portela

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Caminho Portugues – Tag 7

Von Valenca do Minho nach O Porrino

Caminho Portugues Tag 7 - Startbild

Die Nacht in der Herberge in Valenca verbrachte ich im größten Schlafsaal meines Weges – und es war erstaunlicherweise die einzige, in der ich durchschlief. Ansonsten wurde ich jede Nacht wach und schlief erst wieder ein, nachdem ich ein paar Seiten im E-Book gelesen habe.
Es regnete noch immer, auch der Wind war recht stark, sodass ich mir direkt beim Start den Poncho überwarf. Jetzt sah ich aus wie die typische Pilgerin, fühlte mich aber eher wie eine aufrecht gehende Schildkröte.
Zuerst ging es wieder auf den Hügel zur Forteleza. So früh am Morgen waren noch keine Menschen unterwegs, Nebel und tiefe Wolken ließen alles unwirklich erscheinen. Die Luft war frisch und ich genoss das Alleinsein. Im Schlafsaal war es noch ruhig gewesen, die meisten Pilger würden später losgehen.

Caminho Portugues Tag 7 - alte Gebäude
Geschäfte auf der Forteleza

Obrigada, Portugal!

Viel schneller als erwartet erreichte ich die Puente Internacional. Sie überspannt den Rio Minho, den Grenzfluss nach Spanien, und ist für Fußgänger und den Autoverkehr geöffnet. Genau in der Mitte der Brücke befinden sich die berühmten Fußabdrücke, die wohl für jeden Pilger auf dem Caminho Portugues einen Schnappschuss wert sind.
Heute war der siebte Tag und ich war tatsächlich bis zur Grenze gekommen. Und gleich würde ich sie überschreiten und damit einen ganz besonderen Teil meines Jakobsweges hinter mir lassen. Auch im Nachhinein ist mir der portugiesische Teil des Weges der liebste. Portugal habe ich als wunderschönes Land erlebt, ich vermisse die Farben und Gerüche sowie den köstlichen Kaffee. Und die Pastel de Nata.

Caminho Portugues Tag 7 - Auf der Brücke zwischen Portugal und Spanien
Klassisches Bild

Sobald ich die Brücke überquert hatte und Tui erreichte, änderte sich alles – auch die Zeit, denn Portugal liegt in einer anderen Zeitzone. Die Wegweiser waren auf einmal groß, schön und reichlich vorhanden. An Straßenlaternen und Hauswänden prangten Aufkleber und Schilder, alles verwies auf den Camino, auf Herbergen, Bars und Restaurants. Man merkte sofort, dass Spanien ganz anders auf den Camino eingerichtet ist als Portugal.
Nach einer halben Stunde auf und ab durch die Stadt erreichte ich die berühmte Kathedrale von Tui. Der richtige Zeitpunkt, um den ersten Kaffee zu trinken.

Caminho Portugues Tag 7 - Kathedrale von Tui
Die Kathedrale von Tui

Als ich die Tür eines Cafés direkt gegenüber der Kathedrale öffnete, traute ich meinen Augen kaum: Da saßen tatsächlich die drei Pfälzerinnen vom ersten Abend auf dem Campingplatz! Die Freude war groß, wir tauschten die Erlebnisse der letzten Tage aus, ich freute mich, dass Birgit in ihrer Unterkunft geschlafen hatte und wir tauschten Handynummern aus.
Es war schön, Regina, Marianne und Heike wiedergetroffen zu haben. Irgendwie waren mir die Pilger, die ich zu Beginn kennenlernte, emotional näher als die Pilger im weiteren Verlauf des Weges. Wir wünschten einander einen guten Weg, begegneten uns aber im Laufe des Vormittags noch mehrmals, bis wir uns dann aus den Augen verloren.

Aus Bom Caminho wird Buen Camino

Mir war klar, dass sich der Weg ab Tui ändern wird, denn hier beginnen die letzten 100 Kilometer. Wer am Ende in Santiago die Compostela, also die Pilgerurkunde, haben möchte, muss mittels Stempeln im Pilgerpass nachweisen, dass er die letzten 100 Kilometer zu Fuß gegangen ist (oder 200 Kilometer mit dem Rad oder auf dem Pferd). Dafür benötigt man zwei Stempel pro Tag. Für den ersten Teil des Weges (und die Distancia, die Urkunde über die zurückgelegte Strecke) reicht ein Stempel pro Tag.
Ab Tui wurde der Weg dann wirklich voll und verlor für mich auch den besonderen Charme, das, was den Jakobsweg so einzigartig macht.
An den ersten Tagen traf ich manchmal mehrere Kilometer lang keine oder nur vereinzelte Pilger und jedes Aufeinandertreffen war ein Grund, sich zumindest ein »Bom Caminho« zu wünschen. Es war freundlich und ein Miteinander, auch wenn man sich nicht kannte und auch nie wieder sehen würde.

Caminho Portugues Tag 7 - alte Brücke
Ponte das Febres

Hier war es anders. Auf mein »Buen Camino« reagierte kaum jemand, es gab mehr Gruppen und damit mehr Unruhe. Etwa eine Stunde hinter Tui setzte ich mich zum Frühstücken auf einen Feldweg und packte meine Sachen aus. Zwei Pilgerinnen kamen vorbei, sahen mich dort sitzen und meinten beinahe mitleidig: »Hier gibt es wirklich zu wenig Bänke.«
Ich lachte und fragte, ob dies ihr erster Tag sei. Sie nickten und ich wünschte ihnen einen guten Weg. Bänke! Ich musste immer noch lachen. Der Jakobsweg ist ein Pilgerweg, kein prämierter Fernwanderweg mit Vesperinseln! Und während ich mich noch über die Anspruchshaltung wunderte, kamen zwei weitere Pilgerinnen auf mich zu. Eine strahlte mich an, wünschte mir einen guten Appetit und drückte mir ein vierblättriges Kleeblatt in die Hand. »Viel Glück auf dem Weg!«, wünschte sie und ging fröhlich weiter.
Ich bedankte mich und war entzückt. Ja, auch das ist der Camino!
Ob die Pilgerin weiß, welchen schönen Moment sie mir mit dieser kleinen Geste bereitet hat?

Caminho Portugues Tag 7 - zwei Kilometersteine
Tja, und nun?

Der Weg führte nach einiger Zeit wieder durch die Natur, es gab wieder mehr Waldwege und weniger Asphalt. Eine Wohltat für Füße und Gelenke!
Da der Caminho Portugues jedes Jahr beliebter wird, gibt es auch immer mehr Complementarios, also »Nebenwege«. Diese sind landschaftlich schöner als die alten Wege, dafür manchmal aber auch länger. Aber sie sind definitiv eine Empfehlung, ich würde jederzeit einen Complemantario vorziehen. Sie führen oft an Flüssen oder Bächen vorbei, sind urwüchsiger und natürlicher als die alten Wege.
Unterwegs traf ich auf Nadine vom Vorabend in Valenca, sowie zwei Schweizerinnen, die ich schon ein paar Mal gesehen, mit denen ich aber noch keinen Kontakt gehabt hatte. In einem Café kamen wir ins Gespräch und gingen bis nach O Porrino mehr oder weniger gemeinsam. Mal liefen wir ein paar Meter zusammen, dann hintereinander, irgendwann verloren wir uns aus dem Blick, nur um kurz darauf wieder ein paar hundert Meter gemeinsam zu gehen.
Wir kamen früh in O Porrino an, die öffentliche Herberge lag direkt am Weg, war aber noch geschlossen. Nadine und Sylvie und ihre Tochter Laura wollten in einer kleineren Herberge übernachten, also trennten sich hier unsere Wege (fürs Erste).
Vor der Herberge setzte ich mich in den Schatten auf eine Bank, auch eine polnische Familie wartete auf die Öffnung der Herberge. Alles war entspannt, jeder hing seinen Gedanken nach und ruhte sich aus – bis zwei Briten kamen, Typ pensioniertes Lehrerehepaar. Sie fragten jeden von uns ab, ob dies unser erster Camino sei und erklärten, dass wir unsere Rucksäcke entsprechend unserer Ankunft in eine Reihe stellen sollten. Ich fand das völlig übertrieben, zumal wir zu diesem Zeitpunkt zu sechst waren und die Herberge – mit 52 Betten! – in einer Viertelstunde öffnen würde. Aber ich tat wie geheißen, damit das Ehepaar endlich still war.

Caminho Portugues Tag 7 - Schlafsaal in O Porrino
Schlafsaal in O Porrino

Die Herberge in O Porrino war meine erste auf spanischem Gebiet und ließ Heimweh nach Portugal aufkommen. Die Betten waren mit sonderbarem Plastik überzogen (die in Portugal auch, aber das fühlte sich nicht so komisch an), schmutzig, und die Küche enthielt – nichts. Keine Tasse, keinen Teller, keine Gabel, keinen Kühlschrank. Ich habe keine Ahnung, wer sich so etwas ausgedacht hat. Nun ja. Ich ging also duschen, wusch meine Wanderkleidung und bezog wie gehabt das hinterste Bett an der Wand.
Leider war auch das so sehr auf Regeln bedachte britische Ehepaar in meinem Schlafsaal und entpuppte sich als die rücksichtslosesten Pilger, die ich bis dahin erlebt hatte (noch schlimmer als die Brasilianer von Tag 4). Sie raschelten und knisterten wie verrückt mit ihren Taschen, obwohl ich im selben Raum lag und mich offensichtlich ausruhen wollte. Ich glaube, der Mann hatte jede einzelne Socke, jeden Apfel und jedes Stück aus seinem Kulturbeutel einzeln in Tüten gepackt und probierte nun aus, ob die Dinge nicht in einer anderen Tüte besser aufgehoben waren.
Später wurde die polnische Familie wegen ihrer Gespräche aus dem Schlafsaal komplimentiert und das Geraschel und Geknister der Briten begann von vorn, untermalt mit lauten Gesprächen. Warum die Polen den Schlafsaal verlassen sollten, wurde mir nicht klar. Um Ruhe ging es den beiden schließlich nicht.
Nun ja. Später ging ich in den Ort, weil ich Hunger hatte. Die Küche war ja nicht zu benutzen, außerdem wollte ich mir gern Voltaren-Gel wegen meiner Hüfte kaufen. Vor mir humpelte Clemens in Richtung Stadt. Schon am Vorabend in Rubiaes hatte er von starken Schmerzen in den Schienbeinen erzählt und war offensichtlich immer noch nicht schmerzfrei.
Ausgerüstet mit Voltaren, einer Flasche Wasser und einer Tafel Schokolade traf ich am Marktplatz auf die beiden Ehepaare aus Salzburg, die sich das erste Bier schmecken ließen. Auch wenn ich allein in der komischen Herberge war, so war ich doch nicht allein in der Stadt. Es dauerte auch gar nicht lange, bis ich auf Nadine, Sylvie und Laura stieß, und wir gingen gemeinsam essen.

Caminho Portugues Tag 7 - Hamburger mit Kartoffeln
Menu del Dia – empfehlenswert!

Die drei planten eine Rundfahrt von Santiago zum Kap Finisterre am Ende ihres Weges. Viele Pilger gehen nach ihrer Ankunft in Santiago de Compostela noch weiter bis nach Fisterra und zum Kap Finisterre, dem Ende der Welt. Früher dachte man, dass hier die Welt zu Ende sei. In gewisser Weise ist sie das auch, denn am westlichsten Zipfel Galiciens endet das Festland und man sieht nur noch das Meer.
Ich lag gut in der Zeit. Wenn nichts Gravierendes dazwischenkam, würde ich sogar einen Tag früher als geplant in Santiago ankommen. Aber eine zehnstündige gebuchte Busfahrt für über dreißig Euro war nun definitiv das Letzte, was ich mir nach meiner Ankunft vorstellen konnte. Ich winkte ab.
Erstmal hatte ich Spanien erreicht, was mir nach Tag 3 in Barcelos beinahe unmöglich erschien. Die Freiheit, alles auf mich zukommen zu lassen, gehörte mit zum Schönsten auf meinem Camino. Da wollte ich mir wirklich noch keine Gedanken über Santiago machen. Das Einzige, was feststand, war mein Rückflug von Porto in acht Tagen. Der Rest würde sich geben.

Caminho Portugues Tag 8 – Von O Porrino nach Arcade

Caminho Portugues Tag 6 – Von Rubiaes nach Valenca do Minho

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Caminho Portugues – Tag 6

Von Rubiaes nach Valenca do Minho

Titelbild Caminho Portugues Tag 6

Zum Frühstück gab es in der Bar gegenüber der Herberge in Rubiaes für mich einen »Coffee to go« und ein leckeres Törtchen, Pastel de Nata. Leider habe ich diese portugiesische Köstlichkeit erst nach ein paar Tagen für mich entdeckt – und meine Zeit in Portugal war nicht mehr lang. Heute, spätestens morgen, wollte ich die Grenze nach Galicien überschreiten.

Selbstverpflegung

Meinen Kaffee ließ ich mir in die von zu Hause mitgebrachte Emaille-Tasse ausschenken, um mich schnell auf den Weg machen zu können. Für diesen Tag war nämlich wieder Regen gemeldet und ich wollte so weit wie möglich mit trockener Kleidung kommen. Außerdem schleppte ich nun schon seit dem ersten Tag in Porto diese Tasse mit mir herum und wollte sie – zumindest aus Prinzip! – wenigstens mal benutzt haben.
Die Idee erwies jedoch als nur mittelprächtig ausgereift, denn mit einer gefüllten Kaffeetasse in der einen und einer Pastel de Nata in der anderen Hand lief es sich nicht so gut. Also setzte ich mich erstmal auf ein Mäuerchen, genoss mein erstes Frühstück und grinste bei den Blicken der vorbeiziehenden Pilger fröhlich zurück.

Caminho Portugues Tag 6 - Wegweiser. Halbzeit!
Halbzeit!

Die Bar hat auch ein kleines Angebot an Lebensmitteln und Artikeln des täglichen Bedarfs (also Duschgel, Blasenpflaster und Ponchos). Weil ich am Vorabend so große Lust auf ein Müsli hatte, kaufte ich einen Liter Milch, Obst und eine Packung Müsli. Der Sprache nicht mächtig, ließen zumindest die Bilder von Getreide und Obststückchen Müsli erwarten.
Als ich jedoch den Karton öffnete, erinnerte der Inhalt eher an Fischfutter. Kleine, dünne, braune Flöckchen, die nicht ansatzweise nach Müsli aussahen. Erst beim aufmerksamen Packungs-Studium fand ich heraus, dass es sich um Baby-Brei handelte. Nun ja, also aß ich – bevor mich Nino und Melissa zu ihren leckeren Spaghetti einluden – eben Babybrei. Und am Morgen bereitete ich mir in meiner tollen, von zu Hause mitgebrachten Outdoor-Schüssel zum Zusammenfalten eben Babybrei für unterwegs.
Hauptsache, die Rohstoffe stimmen … ;)

Mein nahrhaftes Mittagsmahl nahm ich auf einem Stein sitzend zu mir und lächelte die Vorüberziehenden entwaffnend an. Ich bemühte mich jedenfalls, kein Mitleid aufkommen zu lassen (die zerdrückte Banane hatte längst den Braunton des Vollkorn-Babybreis angenommen).

Caminho Portugues Tag 6 - kleine Staustufe im Fluss
Erstmal nur Nässe im Flussbett

Der Jakobsweg führte nach einer Weile aus den Bergen heraus, abwechselnd durch kleine Dörfer, Wälder und Felder. Die Landschaft wurde insgesamt mit jedem Tag bergiger, da ich aber durch das viele Wandern mittlerweile gut im Training war, auch nicht merklich anstrengender.

Trockene Füße

Ohnehin fühlte ich mich richtig gut. Meine größte Sorge im Vorfeld waren meine Füße gewesen, da ich im Alltag ausschließlich barfuß oder in Barfußschuhen laufe. Die täglichen Kilometer in festen Wanderschuhen waren quasi das genaue Gegenteil davon und ich wusste nicht, wie meine Füße, aber auch der gesamte Haltungsapparat, mit der ungewohnten Belastung umgehen würden.
Das Wandern in Barfußschuhen war für mich keine Option, da ich auf langen Strecken irgendwann vom Ballen- in den Fersengang übergehe. Und über mehrere Kilometer und mit dem zusätzlichen Rucksackgewicht von knapp 9 Kilogramm (inkl. Wasser und Proviant) waren mir die Erschütterungen durch die ungedämpften Schuhe zu stark.
Aber toi-toi-toi: Ich blieb bis zum Ende des Camino blasenfrei!

Caminho Portugues Tag 6 - kleiner Ort im Gebirge
Gontumil, 10 km hinter Rubiaes

Leider begann es wieder zu regnen, diesmal stärker als auf dem Weg nach Rubiaes, außerdem ging ich durch offene Landschaft und nicht durch den Wald. Trotz Regenjacke waren irgendwann alle Klamotten nass, der Regen lief mir unter der Wäsche am Körper hinunter, ich konnte kaum den Kopf heben, um den Weg auszukundschaften. Außerdem war es kalt. Und wirklich nicht schön.
Eigentlich hatte ich für heute den Grenzübergang angepeilt, beschloss aber, in Valenca do Minho zu bleiben. Die wenigen Kilometer bis nach Tui wären eine Qual geworden, zumal ich mittlerweile komplett nass war und fror.

Die Fortaleza – Portugals Festung gegen die Galicier

Also folgte ich den Wegweisern zur öffentlichen Herberge. Die gelben Pfeile führten mich eine Anhöhe hinauf auf die Fortaleza, eine riesige, alte Festungsanlage. Sie ist auch heute noch eine der größten und am besten erhaltenen Festungsanlagen Portugals. Mit Blick auf den Rio Minho, den Grenzfluss nach Spanien, und das dahinter liegende Tui konnte sich Portugal jahrhundertelang gegen das Eindringen der Galicier wehren.
Doch für all das hatte ich keinen Blick, weil ich für heute die Nase mehr als voll hatte und einfach nur noch die Unterkunft wollte. Aber natürlich war es auch auf der Fortaleza so wie in jeder Stadt auf dem Camino: Es fehlten die Pfeile. Ich lief hin und her, durchschritt Tore und Wälle und überquerte mehrmals den alten Wassergraben, aber ich fand keine Pfeile mehr. Da ich ja mittlerweile wusste, dass man allerhöchstens bei den jungen Leuten mit Englisch weiterkommt, ging ich in ein Café und fragte die Bedienung nach der Albergue San Teotónio. Sie war sehr freundlich und erklärte mir wortreich den Weg – auf Portugiesisch. Immer wieder fiel das Wort »Bombeiro«, das mir aus meinen Spanisch-Lektionen im Vorfeld bekannt vorkam, aber ich hatte die Übersetzung vergessen.

Caminho Portugues Tag 6 - Selfie im Spiegel
Regenselfie

Egal, ich folgte ihren Gesten nach draußen und wieder zurück nach Valenca, es regnete immer noch und ich war wirklich genervt von der Situation. Als ich dann aber außerhalb des Festungsgeländes das Gebäude der Feuerwehr entdeckte, wusste ich auch wieder, was »Bombeiro« bedeutete: Feuerwehr.
Und direkt daneben stand auch die Herberge, an der ich vorher mit gesenktem Kopf vorbeigelaufen war. Das hat man nun davon, wenn man sich zu sehr auf die gelben Pfeile fixiert. Leider habe ich vor lauter Frust kein Foto von der Fortaleza gemacht. Sehr schade!

Warten auf Einlass

Mittlerweile war es viertel vor zwei, um zwei Uhr öffnete die Herberge. Ich stand also klatschnass und allein vor der Herberge und wartete auf Einlass. Das dauerte zum Glück nicht lange und ich war das erste Mal auf meinem Pilgerweg die Erste an einer Herberge. Aber ich war ja auch nur knapp 17 Kilometer gelaufen, die meisten Pilger liefen vermutlich noch weiter oder waren später losgegangen als ich (oder machten mehr Pausen). Doch für meine Hüfte, die noch immer ein wenig schmerzte, war eine kurze Etappe sicher auch nicht das Schlechteste.

Caminho Portugues Tag 6 - Blick auf Regen und Wind
Wetter

So konnte ich mir zumindest ein Bett im riesigen 32-Betten-Saal aussuchen: Ganz hinten an der Wand. Und für ein kleines bisschen Privatsphäre hängte ich mein Duschtuch vor mein Bett. In der Küche fand ich dann noch einen abgelegten Poncho, den ich mir vorsorglich für den nächsten Tag einpackte. Auch das gehört zu den schönen Seiten auf dem Camino: Was man selbst nicht braucht, verschenkt man an andere Pilger, die es gebrauchen können. Oder man legt es für nachfolgende Pilger ab. Es ist ein gegenseitiges Geben und Nehmen.

Caminho Portugues Tag 6 - Schlafsaal mit 16 Stockbetten
Die Qual der Wahl

Es dauerte eine ganze Weile, bis die nächsten Pilger kamen, aber am Abend war der Schlafsaal beinahe voll. Das hatte ich nach meiner Ankunft nicht erwartet. Zu meiner großen Freude waren auch zwei Bekannte dabei: Sophie, die ich an dem Imbisswagen auf der Bergkuppe getroffen hatte, und Nadine, die Langschläferin aus der Herberge in Rates.
Sophie war in Lissabon gestartet, mittlerweile fünf Wochen unterwegs (für mich war es gerade mal Tag 6!) und hatte langsam keine Lust mehr. Während ich ein wenig wehmütig auf meine Zeit in Portugal zurückblickte (denn morgen würde ich die Grenze überschreiten), freute sie sich, bald endlich in Santiago anzukommen.
Ich war sehr beeindruckt und bin es noch heute, denn nur sehr wenige Pilger beginnen ihren Caminho Portugues in Lissabon. Fast alle starten, so wie ich, in Porto.

Caminho Portugues Tag 7 – Von Valenca do Minho nach O Porrino

Caminho Portugues Tag 5 – Von Ponte de Lima nach Rubiaes

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Caminho Portugues – Tag 5

Von Ponte de Lima nach Rubiaes

Rückblickend waren die letzten beiden Tage sehr typisch für eine Fernwanderung: Irgendwann in den ersten Tagen kommt so ein »ich kann nicht mehr, was soll der ganze Scheiß«-Tag, aber auch der »ab jetzt läuft es sich von alleine«-Tag.
Das Frühstück in der Jugendherberge in Ponte de Lima war einsam, einzig zwei weitere Pilger befanden sich im ungemütlichen Speisesaal im Untergeschoss, sonst niemand.
Ziemlich lustlos aß ich also meine beiden Brötchen und trank meinen Automatenkaffee (okay, nicht jeder Kaffee in Portugal ist preisverdächtig). Dafür war aber die nette Reinigungskraft wieder da, die am Vorabend netterweise meine im Nieselregen hängende Wäsche einfach zu der Herbergswäsche in den Trockner gepackt hat, während ich in der Stadt unterwegs war. So war heute alles wieder einsatzbereit.

Es wird voll

An diesem Morgen kam ich erst gegen 9 Uhr los und vertrödelte auch noch Zeit auf der Suche nach Geld und Proviant. Anders als bisher waren diesmal richtig viele Pilger unterwegs; überall sah ich die großen Rucksäcke und Kleingruppen mit Wanderstöcken. Offensichtlich war Ponte de Lima ein Einstiegspunkt für viele, die den Weg nicht ab Porto gehen möchten.
Zu diesem Zeitpunkt wusste ich noch nicht, dass es ab da mit der gemächlichen Ruhe auf dem Camino vorbei sein würde. Mit so vielen Menschen hatte ich eigentlich erst ab der Landesgrenze bei Valenca/Tui gerechnet. Dort beginnen die letzten 100 km, die man für den Erhalt der Compostela zurückgelegt haben muss.

Caminho Portugues Tag 5 - Blick von Ponte de Lima auf Berg in den Wolken
Da hinten geht es hoch

Laut Wanderführer stand mir an diesem Tag der höchste Punkt des gesamten Weges bevor. Es regnete immer wieder, was mir aber nicht so viel ausmachte. Regen ist mir immer noch lieber als Hitze. Vor mir lief eine Fünfergruppe, die mir schon einen ersten Vorgeschmack auf den weiteren Weg lieferte: saubere, schicke Sportkleidung, weiße, staubfreie Sneaker, winzige Rucksäcke mit einer viel zu großen Pilgermuschel – und laut. Einer der Wanderer hatte die brasilianische Flagge an den Rucksack gebunden; offensichtlich handelte es sich hier um eine organisierte Reisegruppe mit Gepäcktransport. Im Übrigen traf ich auf dem Weg noch mehr Brasilianer, außerdem wurde der Weg ab sofort ohnehin sehr viel internationaler.
Diese fünf Brasilianer waren mir jedenfalls viel zu laut. Sie gackerten und schwätzten, blieben immer wieder stehen und blockierten den Weg. Man merkte ihnen deutlich an, dass sie noch ganz frisch unterwegs waren. Mit ein paar Kilometern in den Knochen wird man ruhiger – und schmutziger.
Das Wetter wurde immer unbeständiger, der Weg dafür umso voller. Manchmal sehnte ich mich nach der Ruhe von Tag drei und vier zurück, zumal ich auch niemanden aus »meiner« Gruppe traf. Dafür aber immer wieder die lauten Brasilianer, weil wir aus irgendeinem Grund eine ähnliche Gehgeschwindigkeit hatten. Sie blieben mehrmals mitten auf dem Weg stehen, um Selfies zu machen, benahmen sich sehr rücksichtslos und grüßten niemanden. Also legte ich einen Zahn zu, um sie hinter mir zu lassen.

Es wird nass

Mittlerweile hatte es sich eingeregnet, der Weg führte gemächlich, aber kontinuierlich, bergan. Aus dem Wanderführer wusste ich, dass kurz vor der richtigen Steigung noch ein Café kommt, das ich unbedingt aufsuchen wollte. Ein Kaffee war dringend nötig, außerdem hatte ich Hunger.
Aber ich ging und ging und ging, der Regen prasselte auf mich herab, immer wieder überholte ich andere Pilger, die sich bergauf kämpften. Wo blieb nur das Café?

Caminho Portugues Tag 5 - Eukalyptuswald mit Schlammboden
Es war schlammiger und steiler, als es aussieht


Ich fand es mittlerweile wirklich anstrengend und hatte ein wenig Muffen vor dem weiteren Weg. Wenn all das hier noch vor dem Café lag, wie steil musste es erst dahinter werden? Irgendwann war ich dann im Wald, Schlamm floss den Berg hinab, ich versuchte, den größten Pfützen auszuweichen. Denn nasse Wanderschuhe sind eine tolle Chance für Blasen an den Füßen – und ich war doch bisher so schön blasenfrei!
Immer wieder musste ich stehenbleiben, um meinen Rücken zu entlasten und ein paar Nüsse zu essen. Das Café hatte ich wohl verpasst, also würde ich auch so schnell nichts Essbares mehr bekommen.

Es wird steil

Das letzte Stück war wirklich steil. Man klettert und krabbelt Felsen empor, ich war mittlerweile echt k.o. und wollte nicht mehr weiter. Aber bei strömendem Regen war ein Picknick im Wald auch keine Alternative. Und als ich mal wieder am Wegesrand stand und mich auf meinen Stöcken abstützte, hörte ich es hinter mir schnattern. Die Brasilianer!
Resigniert nahm ich die Kopfhörer ab, denn bei dem Lärm verstand ich mein Hörbuch sowieso nicht mehr. Nun ja, dann war es eben so. Am Franzosenkreuz Cruz dos Franceses machte ich nur kurz Halt. Hier werden von Pilgern Andenken und Steine abgelegt, ähnlich dem Cruz de Ferro auf dem Camino Francés.

Caminho Portugues Tag 5 - das Franzosenkreuz Cruz dos Franceses
Cruz dos Franceses

Auch das letzte Stück war noch mal richtig steil, aber ich konnte schon die Bergkuppe sehen. Und ein Schild: Oben würde mich eine Bar mit Pommes, Bier und Kaffee erwarten. Juhu! Im Wanderführer stand nichts davon und ich freute mich auf die Überraschung, da ich ja das Café am Fuße des Berges verpasst hatte.
Frisch motiviert stieg ich also weiter, machte keuchend ein paar Fotos und ein Kurzvideo und ging schnell weiter zum Kaffee. Oder, wenn ich ehrlich bin: Ich wollte zum Bier. Zu einem schönen, kühlen, prickelnden Bier. Egal, dass wir gerade einmal 13 Uhr hatten – das hatte ich mir nach diesem Anstieg redlich verdient. Noch hundert Meter und ich würde sowohl Hunger als auch Durst löschen können!
Tja. Das Café entpuppte sich als Imbissbude mit drei Sitzgarnituren aus Plastik, die im Regen standen. Aber immerhin traf ich Sophie dort oben, die ich am Vorabend in Ponte de Lima kennengelernt hatte. Wir redeten kurz, ich kaufte mir eine Cola und eine Minidose Chips und machte mich an den Abstieg. Das war sicherlich nicht nahrhaft, aber auf eine Portion Pommes im Regen hatte ich nun wirklich keine Lust.

Caminho Portugues Tag 5 - Blick über bewaldete Berge
Oben angekommen

Von hinten hörte ich dann plötzlich ein fröhliches »Hallo!«: Birgit!
Wir verabredeten uns für das nächstgelegene Café, das in etwa zwei Kilometern kommen musste, und schon war sie wieder weg. Mittlerweile hatte der Regen aufgehört, im Garten des Cafés saßen viele Pilger, die Stimmung war gut. Doch so kurz vor unserem Ziel in Rubiaes hatte ich nicht mehr die Ruhe, gemütlich einen Kaffee zu trinken. Ich hatte Angst, kein Bett mehr in der Herberge zu bekommen, denn der Ansturm schien mir recht groß. Deutlich größer als an den bisherigen Tagen, wo ich nie ein Problem hatte, ein Bett zu finden.

Es wird eng

Die öffentliche Herberge in Rubiaes ist groß, rundherum gibt es mehrere private Herbergen, aber auch Pensionen und sogar Hotels. Aber die Preise in den öffentlichen Herbergen sind unschlagbar: 5 Euro (oder eine Spende) für einen Schlafplatz im Mehrbettzimmer. Natürlich wollte ich lieber in die öffentliche Herberge als in ein Hotel mit Wäscheservice – und ich hatte echtes Glück: In der Herberge gab es nur noch eine Handvoll freie Betten! Ich bekam eines in einem Acht-Bett-Zimmer zugewiesen, gemeinsam mit zwei Ehepaaren aus Salzburg und drei Einzelpilgern. Wenige Minuten später war die Herberge voll.

Caminho Portugues Tag 5 - Die öffentliche Herberge in Rubiaes
Die Albergue in Rubiaes

Kein Wunder – alle waren nass, der Weg war anstrengend gewesen, die nächste günstige Herberge war kilometerweit entfernt. Hier war eine Art Sammelplatz, aber auch der größte Schlafsaal, der mir auf dem Caminho Portugues unterkam: 42 Betten in einem Raum! Das waren 21 Stockbetten, dicht an dicht. Was war ich froh um mein Achtbett-Zimmer!
Später wurden sogar noch Matratzen in den Gemeinschaftsraum und die Flure gelegt, um niemanden abweisen zu müssen. Um Viertel vor zehn ging die Hospitalera durch die Gänge und löschte überall das Licht. Die Herberge war dunkel und es kehrte Ruhe ein.

Caminho Portugues Tag 5 - Blick ins Acht-Bett-Zimmer
Acht-Bett-Zimmer

Es wird schön

In dieser Herberge traf ich übrigens Nino und Melissa vom Vorabend in Ponte de Lima wieder. Sie kochten mit zwei anderen deutschsprachigen Pilgern zusammen Spaghetti und luden mich zum Essen ein. Lustigerweise waren die anderen beiden jene Pilger aus dem Speisesaal der Jugendherberge (sie erkannten mich wieder, ich sie allerdings erstmal nicht). Die Pilgerwelt auf dem Caminho Portugues war irgendwie doch überschaubar.
An jedem einzelnen Tag habe ich neue Pilger kennengelernt, die meisten aus Deutschland bzw. Österreich und der Schweiz. Ich traf wirklich interessante Menschen aus allen möglichen Gesellschaftsschichten und Berufen. Einige trugen schwere und mittelschwere Päckchen mit sich (Trennungen, berufliche Umorientierungen, große Verluste), andere reizte die Herausforderung, wieder andere erfüllten sich einen lang gehegten Traum. Und sehr viele Pilger hatten schon andere Jakobswege beschritten, die meisten den Camino Francés.
Jeder von uns hat eine Geschichte, und wir alle sind Teil einer Gemeinschaft, ohne uns verstellen zu müssen. Einfach so, wie wir sind. Mit all unseren Macken.
Und das ist toll!

Caminho Portugues Tag 4 – von Barcelos nach Ponte de Lima

Caminho Portugues Tag 6 – Von Rubiaes nach Valenca do Minho

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