Caminho Portugues – Tag 3

Von Rates nach Barcelos

Die Nacht im Elf-Bett-Zimmer war weniger schlimm als gedacht. Ich hatte mich ohnehin auf frühmorgendliches Rascheln eingestellt, das ab etwa sechs Uhr auch prompt einsetzte.
Drei italienische Senioren wechselten vom Schnarchen zum Flüstern, was mehr oder weniger das ganze Zimmer weckte – bis auf eine junge Deutsche, die völlig unbeeindruckt von Licht und Lärm in ihrem Bett lag und weiterschnarchte. Doch beherztes Rütteln ihres Weggefährten half, und langsam erhob auch sie sich – ächzend und stöhnend, wie fast alle im Zimmer.

Die paar Schmerzen …

Vor mir lag Tag drei, ich brauchte ewig, um meinen Rucksack zu packen (das Wichtigste nach oben. Nur: Was von den wenigen Sachen war so unwichtig, dass es ganz nach unten konnte? Und was musste unbedingt griffbereit sein?).
Meine rechte Hüfte tat etwas weh, der Rücken auch. Aber hey, ich war pilgern, ich hatte im Internet schlimme, offene Füße gesehen, da war das bisschen Hüftschmerz wirklich nichts. Viel wichtiger für mich war, dass die Halsschmerzen vom ersten Tag verschwunden waren (damit konnten auch die Halstabletten aus der Apotheke in Porto ganz nach unten gepackt werden).

Caminho Portugues, ein Feldweg kurz hinter Rates
Kurz hinter Rates

Die Herberge Sao Pedro de Rates ist wirklich eine besondere Herberge. Ich empfehle jedem, der richtige Pilgerluft schnuppern möchte, dort zu übernachten. Auch rückblickend war dieser Aufenthalt einer der schönsten, woran die liebenswürdigen Hospitaleros den größten Anteil hatten. Sie sind selbst Pilger und wissen einfach, was man nach einem anstrengenden Tag braucht.
Frühstück gab es in der Bar gegenüber, und nach einem reichlich belegten Käsebrötchen und einem guten Kaffee ging es dann weiter Richtung Norden. Das etwa 16 km entfernte Barcelos war mein Ziel.

Nach den Strapazen des Vortages und den gefühlt unendlichen Stunden auf Asphalt, Kopfsteinpflaster und an viel befahrenen Straßen waren die ersten Kilometer eine wahre Wohltat. Der Weg führte mich durch Felder, vorbei an kleinen portugiesischen Orten und das erste Mal in einen Eukalyptuswald, von denen ich schon so oft gelesen hatte.
Auf dieser Strecke wurden mir die Farben und Gerüche Portugals besonders bewusst. Die Wälder haben einen ganz eigenen Geruch, der sich so sehr von den deutschen Nadel- und Mischwäldern unterscheidet. Und die Gärten erst! Überall entlang des Weges standen Zitronen- und Orangenbäume, die einen wunderbaren, süßen Duft verströmten. Wie gerne hätte ich statt Bilder Gerüche aufgenommen!

Caminho Portugues - ein Garten mit Orangenbäumen
Orangenbaum-Garten

So toll ist es hier nun auch wieder nicht

Leider führte mich der Weg irgendwann wieder an einer Straße entlang, riesige Hinweisschilder wiesen die Autofahrer auf Pilger hin, was aber niemanden zu interessieren schien. Manchmal war es kaum möglich, die Straße zu überqueren. Außerdem waren die vorbeirasenden Autos laut und ich sehnte mich nach der Ruhe meiner deutschen Mittelgebirge. Irgendwie war das hier nichts für mich. Die Begeisterung der Pilger im Internet konnte ich jedenfalls nicht teilen. Ja, es war nett, es war definitiv ein Abenteuer, aber nichts, was ich dringend wiederholen müsste.
Meine Hüfte schmerzte stärker, meine Fußsohlen brannten, ich kam nur noch langsam voran. Der Vortag war definitiv zu viel gewesen. Zu viele Kilometer für den Anfang, zu viel Asphalt, den ich nicht gewöhnt war. Aber hatte ich eine Alternative gehabt? Nein.

Also Zähne zusammenbeißen und weitermachen. Damit das Laufen etwas leichter wurde und ich mich ablenken konnte, stöpselte ich meine Kopfhörer ein und stellte ein Hörbuch an. Das machte es etwas erträglicher. Kurz vor Barcelos schlich ich an einem Feld vorbei, auf dem der Bauer gerade Gülle verteilte. Es stank erbärmlich, ich hielt mir ein Handtuch vor die Nase. Schnell weiter! Als ich um die Ecke bog, wendeten sowohl der Bauer als auch der Wind und spürte Spritzer auf meiner Haut. Igitt!
Ich eilte weiter, raus aus der Gefahrenzone, und wusch mich mit meinem Trinkwasser einigermaßen sauber. Diese Gülle-Attacke passte ja hervorragend zu diesem Tag!

Caminho Portugues - Kilometerstein, noch 199 km bis Santiago
Kilometerstein in Carvalhal

Wenige Minuten später erreichte ich den ersten Kilometerstein: Noch 199 km bis Santiago – etwa vierzig hatte ich also schon geschafft. Yeah!
Als ich dann aber zum wiederholten Male von fröhlich schnatternden Rentnern überholt wurde, war meine Motivation dahin. Wie sollte ich jemals in Santiago ankommen, wenn ich die langsamste und mauligste Pilgerin des Weges war?

Die langsamste Pilgerin des Weges

Außerdem bestand die nicht geringe Wahrscheinlichkeit, dass mich einer der wahnsinnigen Autofahrer vorher umnietete und ich nirgends mehr hingehen würde. Ich wurde noch langsamer, falls das überhaupt möglich war. Meine Hüfte schmerzte, die Füße brannten. Der Rucksack wurde schwer. In Barcelinhos, kurz vor Barcelos, entdeckte ich zwei Pilgerherbergen am Weg. Doch als ich die fröhlichen Rentner darauf zuströmen sah, biss ich die Zähne zusammen. Ich wollte nicht den Rest des Tages mit meiner schlechten Kondition konfrontiert werden!
Also machte ich eine kurze Pause, lüftete meine Füße und starrte auf die blöden Autos. Es war laut, hektisch, nervig. Alles war ätzend. So eine bescheuerte Idee mit diesem doofen Jakobsweg!
Als ich dann auch noch anfing, mit meinem Rucksack zu sprechen (»komm, wir schaffen das!«), hielt ich mich für völlig irre. Die Hüfte tat so weh, dass jeder Schritt eine Qual war. Aber ich musste nur noch einen oder zwei Kilometer bis zur Herberge in Barcelos laufen, das würde ich irgendwie auch noch schaffen.

Caminho Portugues - Blick auf Barcelos
Blick auf Barcelos

Also humpelte ich durch das Städtchen, hasste die portugiesischen Autofahrer, die unbeschwerten Schüler in ihren Sneakers und mit kleinen Rucksäcken und biss die Zähne zusammen.
Für den Grafenpalast, der sämtliche Bilder von Barcelos schmückt, hatte ich keinen Blick. Und die bunten Hahn-Skulpturen, für die Barcelos berühmt ist, waren mir egal. Aber sowas von. Ich wollte einfach nur in die Herberge und meinen Körper hinlegen.

Say it in English, please

Hatte ich schon mal erwähnt, dass die Jakobsweg-Beschilderung in den Städten ein Problem ist? Hatte ich. Klar. Und Barcelos machte da keine Ausnahme. Ich fand weder Pfeile noch Muscheln, und die Beschreibung aus dem Reiseführer verstand ich nicht – zumal es auch noch zwei Wege durch die Stadt gibt.
Also wollte ich schlau sein und ging zu einer Kirche, um dort nach dem Weg zu fragen. Doch der schwarzgekleidete Kirchenmann, der draußen herumwerkelte, beachtete mich auch nach Ansprache nicht.
Ich war fertig. Körperlich wie mental. Die Sonnenbrille verhinderte, dass man mich schon von weitem heulen sah. Vor Wut, Enttäuschung und Schmerz konnte ich kaum noch sprechen, aber ich musste schließlich auch irgendwo hin. Ich konnte mich ja kaum mit meinem Schlafsack auf eine Parkbank legen. Also sprach ich einen jüngeren Mann auf Englisch an. Meiner Erfahrung nach sprachen zumindest die jüngeren Leute Englisch.
»Where is the next Pilgrims Hostel?«, fragte ich und erntete nur einen fragenden Blick.
»A Pilgrims Hostel. Albergue«, versuchte ich es (zur Erinnerung: Ich trug einen 38 Liter-Rucksack auf dem Rücken, Wanderschuhe an den Füßen, einen Sonnenhut sowie eine Sonnenbrille, unter der getrocknete Tränen klebten. Als aufmerksamer Mensch könnte man zumindest ahnen, was ich will).
»Say it in English, please«, erhielt ich zur Antwort und versuchte es erneut. Bis heute frage ich mich, ob mein Englisch soo schlecht ist?
Jedenfalls zeigte er mir mit Händen und Füßen einen Weg, der mich aus der Stadt herausführte. Ich wollte nicht mehr laufen. Keinen Meter. Aber er schien zu wissen, was er da tat. Außerdem verstand ich auf einmal auch den Text in meinem Reiseführer.

Caminho Portugues - Hahn in Barcelos
Einer der berühmten Hähne von Barcelos

Also ging ich, fand überraschenderweise auch meine gelben Pfeile wieder und folgte ihnen. Doch irgendwann wurde es komisch. Das hier war keine Innenstadt mehr. Der Weg führte aus der Stadt heraus und keineswegs zu irgendeiner Herberge. Also ging ich zu einem Supermarkt und fragte dort. Eine nette Frau nahm mich dann bei der Hand, führte mich um den Supermarkt herum und schickt mich wieder zurück in die Stadt.
Mittlerweile war mir alles egal. Meine Wanderstöcke hielt ich weit von mir gestreckt in der Hoffnung, die Autofahrer damit abzuschrecken. Nix da. Die rasten trotzdem an mir vorbei, egal, wie eng es war. Ich humpelte mit schmerzender Hüfte weiter, heulte und war mir ziemlich sicher, dass der nächste Autofahrer meine Stöcke in der Windschutzscheibe stecken haben würde.

Endlich hat der Tag ein Ende

Dann sah ich das Hinweisschild zur Herberge. Halleluja!
Mit letzter Kraft schlich ich dorthin – und stand vor verschlossener Tür. Auf mein Klingeln reagierte niemand. Wütend und enttäuscht trat ich gegen die Mauer und beschloss, das erstbeste Hotel aufzusuchen. Egal, was es kostete. Ich konnte nicht mehr. Ich wollte auch nicht mehr. Doch dann vernahm ich ein Rufen aus einer Wohnung weiter vorn, und eine ältere Frau gestikulierte mir, ich solle in die Bar nebenan gehen.
Und da bekam ich dann den Schlüssel für die Herberge. Endlich! Ich war da!

Caminho Portugues - Innenhof der Auberge in Barcelos
Innenhof der Albergue Cidade de Barcelos

Unten am Empfang trug ich mich ins Gästebuch ein – und was sah ich da? Birgit war auch da! Und die drei Pfälzerinnen vom ersten Abend auf dem Campingplatz! Außerdem noch zwei andere Frauen aus dem Ruhrgebiet. Alle deutschen Frauen, die ich bisher kennengelernt hatte, waren hier!
So hatte dieser furchtbare Tag noch eine schöne Wendung genommen. Wir gingen zusammen essen (natürlich Pilgermenü), tranken ein Superbock, tauschten uns über den Weg aus und schliefen allesamt um 21 Uhr in unseren Stockbetten.
Doch kurz vor dem Einschlafen fragte ich mich, wie ich es jemals bis zur spanischen Grenze schaffen sollte – von Santiago ganz zu schweigen.

Caminho Portugues Tag 2 – Von Angeiras nach Rates

Caminho Portugues Tag 4 – Von Barcelos nach Ponte de Lima

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Caminho Portugues – Tag 2

Vom Campingplatz Angeiras über Vila do Conde nach Rates

Atlantikküste mit Sandstrand und Holzsteg

Meine erste Nacht als Pilgerin war leider ganz furchtbar.
Weil der Bungalow nicht isoliert war, fror ich wie der sprichwörtliche Schneider. Mein Sommerschlafsack war viel zu dünn, denn an der Atlantikküste sind die Nächte auch im Mai noch empfindlich kalt. Außerdem war irgendwo in der Nähe ein Open-Air-Konzert, denn bis 2:30 Uhr waren Musik und Jubel zu hören. Ich konnte erst schlafen, als draußen Ruhe herrschte und ich sowohl meine Sporthose als auch eine Jacke im Schlafsack angezogen hatte.

Tag 2 auf dem Caminho Portugues - von Angeiras über Vila do Conde nach Rates
Holzstege, kilometerweit

So kam ich dann immerhin auf etwa drei Stunden Schlaf. Erholsam ist jedenfalls etwas Anderes und im Nachhinein frage ich mich, ob der folgende Tag mit mehr Erholung besser geworden wäre.
Da es erst ab sieben Uhr Frühstück gab, konnte ich mir ausreichend Zeit beim Rucksackpacken lassen. Hier hatte ich definitiv noch Optimierungsbedarf, schließlich musste alles, was ich mithatte, irgendwie reinpassen, das Gewicht sollte gut verteilt und obendrein auch noch das Wichtigste griffbereit sein.
Dass der Kaffee in Portugal lecker sein soll, war mir schon zu Ohren gekommen. Aber dass er so lecker ist, hatte ich nicht erwartet. Schon nach der ersten Tasse fragte ich mich, wie ich jemals wieder die Plörre in Deutschland trinken sollte (Spoiler: Es geht, aber ich suche noch nach dem ultimativen Rezept).

Holzstege

Die ersten beiden Stunden am Meer waren fantastisch.
So früh am Morgen waren nur wenige Menschen unterwegs, die Luft war frisch und noch nicht zu heiß, das Meer brandete gegen das Ufer und die bizarren Felsformationen waren ein wahrer Augenschmaus.

Atlantikküste: Sandstrand mit Holzsteg
Zwischen Angeiras und Vila do Conde

Doch je später es wurde, desto voller war auch der Weg. Immer wieder musste ich Joggern und Radfahrern ausweichen, die Sonne brannte, und irgendwie reichte es langsam mal mit den Holzstegen.
Der Caminho Portugues hat zwei Hauptstrecken: Die noch relativ neue Variante da Costa, auf der ich mich gerade befand, und den »alten Weg«, den Camino Central im Landesinneren. Es gibt mehrere Möglichkeiten, von der Küstenvariante auf den zentralen Weg zu wechseln. So faszinierend die Atlantikküste auch war, so interessierte mich doch das Landesinnere mehr und ich erwartete größere Abwechslung entlang des Weges und unter den Sohlen.

Also entschied ich, in Vila do Conde auf den Camino Central zu wechseln.
Doch vorher wollte ich mich noch gebührend von der Küste verabschieden und ging in ein Café, um bei einem schönen Kaffee noch einmal sinnierend auf den Atlantik zu blicken. Doch wer saß bereits dort? Birgit!
Wir beschlossen, den Weg in Richtung Rates gemeinsam zu suchen. Draußen vor dem Café saßen auch noch Regina, Marianne und Heike, meine pfälzischen Tischnachbarinnen vom Vorabend. Irgendwie fühlte es sich gut an, in der Fremde immer wieder auf bekannte Gesichter zu treffen.

Asphalt

In Vila do Conde teilte sich der Weg: Links ging es weiter an der Küste, rechts in Richtung Landesinneres. Soweit die Theorie.
Die Praxis war weniger einfach, denn direkt im ersten größeren Ort lernte ich ein Problem kennen, das sich bis einschließlich Santiago weiterführen sollte: In Städten fehlen Pfeile.
Außerorts gibt es so viele Markierungen, dass man sich eigentlich kaum verlaufen kann (hüstel, dazu später mehr), innerorts, wo die Pfeile wirklich wichtig wären, fehlen sie größtenteils.

Aqueduto de Santa Clara in Vila do Conde
Aqueduto de Santa Clara in Vila do Conde

Mittlerweile waren wir zu dritt und nahmen nicht nur den gelben und den roten Wanderführer zu Hilfe, sondern auch noch eine App. Nach anfänglicher Verwirrung fanden wir dann tatsächlich den richtigen Weg, und von da an lief wieder jede für sich.
Die Strecke zog sich. Die Sonne brannte. Die Portugiesen waren schreckliche Autofahrer. Der Weg führte durch ein Industriegebiet. Es wurde immer heißer. Ich wünschte mir die Holzstege zurück, um nicht Kilometer um Kilometer auf Asphalt laufen zu müssen. Immer wieder musste ich mich mit meinem Rucksack an Hauswände oder Mauern pressen, um nicht mit 70 km/h umgenietet zu werden. Die zahlreichen Warnhinweise entlang des Weges beeindruckten die Autofahrer jedenfalls nicht.

„Busy road“

Ach, hatte ich schon erwähnt, dass es heiß war?
Es war furchtbar. Kein Ort, keine Menschen, kein Café, dafür Autofahrer im Kamikazemodus auf Straßen ohne Gehwege. Warum nur waren so viele Menschen im Internet so begeistert von diesem Weg? War ich vielleicht einfach von meiner Mittelgebirgsheimat verwöhnt? Kannten die anderen womöglich keine besseren Wege?

Kopfsteinpflaster

Der überhitzte Asphalt unter meinen Füßen wurde nur vom berühmt-berüchtigten Kopfsteinpflaster abgelöst.
Die Hitze, die rücksichtslosen Autofahrer und die wenig ansprechende Streckenführung machten mich mürbe und ich wollte nur eines: ein Bett. Ich würde sogar ein teures Hotelzimmer nehmen, damit dieser Tag endlich ein Ende hätte. Nur noch über diese Autobahnbrücke, dann würde ich das erstbeste Bett in Arcos nehmen.
Aber wie war das noch mit den Plänen?
Hinter einer Biegung sah ich auf einmal Pilger aus einem Waldstück kommen. Der Camino Central! Menschen mit Rucksack, Pilgerhut und Wanderstöcken spazierten gut gelaunt auf einem Feldweg, und irgendwie sahen sie deutlich entspannter aus, als ich mich fühlte. Als dann auch noch die langweiligen aufgemalten gelben Pfeile durch glänzende Kacheln mit Jakobsmuschel ersetzt wurden, konnte ich auf einmal ungeahnte Kräfte freisetzen.
Ein Ehepaar aus Kalifornien begleitete mich noch von Arcos bis nach Rates, ich konnte mein Englisch ein wenig aufpolieren und bemerkte kaum, wie sich Kopfsteinpflaster und Asphalt abwechselten.

Zitronenbaum hinter alter Mauer
Duftende Zitronenbäume

Diese 5 km fühlten sich mehr nach Pilgern an als alles, was ich bis dahin auf dem Weg erlebt hatte. Als ich dann endlich nach 25 km die öffentliche Herberge in Rates erreichte, war ich den Tränen nahe. Auf die körperliche Erschöpfung folgte ein wunderbarer, herzlicher Empfang und ich spürte erstmals so etwas wie »Pilgerfeeling«.
Die elf Betten in dem Schlafsaal sah ich als Herausforderung an und freute mich erstmal auf die Dusche und ein kühles Bier. Birgit war schon längst da, wir tranken Bier und aßen Oliven im Innenhof der Herberge und gingen später zu sechst ein Pilgermenü essen. Anschließend saßen wir noch bis nach Einbruch der Dunkelheit im Innenhof, quatschten, lachten, blödelten und ich lernte wieder neue Leute kennen.
Ich ahnte, dass Pilgern doch etwas anderes war, als in der Mittagshitze auf langweiligen Straßen zu laufen.

Caminho Portugues Tag 1 – Von Porto nach Angeiras

Caminho Portugues Tag 3 – Von Rates nach Barcelos

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Caminho Portugues – Tag 1

Heute vor einem Monat flog ich von Köln nach Porto, um das wunderbare Abenteuer Jakobsweg zu starten.

@caminhoPortuguesTag1


Elfeinhalb Tage lang bestand mein Alltag nur aus walk, eat, sleep, repeat – immer auf der Suche nach den gelben Pfeilen, die mir den Weg wiesen.
Zwölf Mal stand ich morgens auf, zog mich an, rollte meinen Schlafsack zusammen, schnallte meinen Rucksack auf und ließ mich von gelben Pfeilen und Jakobsmuscheln auf blauem Grund durch Portugal und Galicien führen.
Zwölf Tage lang lief ich bei angenehmen Temperaturen, aber auch bei sengender Hitze und im strömenden Regen von Herberge zu Herberge und von Kilometerstein zu Kilometerstein.
Zwölf Abende verbrachte ich mit netten Menschen, gutem Essen, kühlem Bier und interessanten Gesprächen, ehe ich müde und zufrieden in meinen Schlafsack krabbelte.
Zwölf Nächte gelang es mir, mit Schlafbrille und Ohropax in Mehrbettzimmern zu schlafen, obwohl es im Schlafsack entweder zu heiß oder zu kalt war.

Tag 0: Wer braucht schon Pläne?

Freitagnachmittag landete mein Flieger in Porto.
Es war mein erster Flug und, wenn ich ehrlich bin, nicht unbedingt ein Highlight meines bisherigen Lebens.

@HafenPorto
Hafen Porto mit Ponte Dom Luis I.

Doch die Altstadt von Porto und das anstehende Abenteuer Jakobsweg ließen den Flug schnell vergessen.
Zur Einstimmung auf den Camino buchte ich lange im Voraus ein Bett in einem Viererzimmer in einem Hostel in der Altstadt, unmittelbar am Hafen bei der weltberühmten Brücke Ponte Dom Luis. Jedes Bett hatte einen Vorhang sowie Steckdose und Licht, sodass es trotzdem noch ein wenig Intimsphäre gab.
Den Nachmittag und den Abend verbrachte ich damit, durch die Altstadt zu spazieren, die ausgelassene Stimmung am Hafen zu genießen und die erste – und wichtigste! – Lektion meines Camino zu lernen: Pläne sind in Ordnung – man muss sich aber nicht dran halten.

@Porto bei Nacht
Porto bei Nacht

Eigentlich wollte ich meinen ersten Tag auf dem Camino mit dem ersten Stempel in meiner Credencial beginnen. Das Pilgerbüro in der Kathedrale in Porto öffnet morgens um neun Uhr, und nach dem offiziellen Startschuss wollte ich mit der historischen Straßenbahn bis an den Atlantik fahren und von dort aus grob in Richtung Santiago laufen.
Da ich aber schon am Freitag bei meinen Stadtspaziergang mehrmals an der Kathedrale vorbeikam, holte ich mir den Stempel schon vorher.
Dadurch konnte ich am Samstag direkt die erste Tram um neun Uhr zur Küste nehmen. Obwohl diese Bahn immer sehr voll sein soll, war um diese Uhrzeit noch wenig los und alle bekamen einen Sitzplatz. So schaukelten und quietschten wir also Richtung Atlantik, immer vorbei am Duoro, an Häusern, Palmen, Schiffen, Autos – und jeder Menge Pilgern. In diesem Moment war ich froh, mich für die Variante mit der Bahn entschieden zu haben, um diese 5 km zwischen Straßen und Schienen abzukürzen.
Dass in dieser Bahn drei Pilgerinnen saßen, mit denen ich noch viele besondere Augenblicke auf dem Camino teilen würde, ahnte ich in diesem Moment nicht.

Tag 1: Portos Atlantikküste

Die Ankunft am Atlantik war der Hammer.
Anders kann ich es nicht beschreiben, deshalb lasse ich lieber ein paar Bilder sprechen.

Während es in Siegen schneite, schien in Porto die Sonne und pfiff mir der Wind um die Ohren. Ich war sehr gespannt, was in den nächsten zwei Wochen auf mich zukommen würde. Zwischen den sportlichen und sommerlich gekleideten Portugiesen liefen immer wieder Pilger mit großen Rucksäcken auf der Promenade vor und hinter mir. Doch niemand wünschte mir »Bom Caminho«, wie ich es im Internet gelesen hatte. Vielleicht waren Pilger auf diesem Abschnitt einfach doch zu gewöhnlich, um sie weiter zu beachten.
Ich ging nicht besonders schnell und blieb immer wieder stehen, um Fotos zu machen oder besondere Momente zu genießen. Meine Mittagspause verbrachte ich auf einem Felsen mit Blick auf das Meer und fühlte mich frei, erwartungsfroh und auch ein klein wenig unsicher. Würde ich auch immer ein Bett finden? Was müsste passieren, um den Weg abzubrechen? Wie weit würde ich kommen und würde ich fit bleiben?
Santiago de Compostela war noch fast 250 km entfernt und ich hatte keine Ahnung, wie ich diese Distanz meistern sollte.

Überraschung auf dem Campingplatz

Nachmittags wurde es zunehmend beschwerlich, die Sonne knallte vom Himmel, der Wind ging mir auf die Nerven und ich hatte Angst, kein Bett mehr zu bekommen.
Nach etwa 20 km verließ ich in Angeiras den Weg, um mir das erste Mal auf dem Camino spontan einen Schlafplatz suchen. Das erwies sich allerdings als sehr viel einfacher als gedacht, denn der Rucksack mit der Pilgermuschel und die Credencial öffneten mir vom ersten bis zum letzten Tag viele Türen.
Auf dem Campingplatz konnte ich für elf Euro ein Bett in einem kleinen Bungalow mieten. An der Rezeption sagte man mir, dass man das zweite Bett an eine andere alleinreisende Pilgerin vermieden würden, falls noch eine käme.

Bungalow auf dem Campingplatz Orbitur Angeiras

Kein Ding, dachte ich mir und ging duschen und meine Klamotten waschen. Nach einem kalten Bier ging ich zum Restaurant, um dort mein erstes Pilgermenü zu mir zu nehmen. Gelesen hatte ich davon schon viel, entsprechend neugierig war ich.
Die meisten Tische waren entweder noch komplett leer oder schon voll belegt. An einem kleinen Tisch saßen drei Pilgerinnen, die mir schon an der Endhaltestelle der historischen Straßenbahn aufgefallen waren und Deutsch sprachen.
Ich setzte mich dazu, wir kamen ins Gespräch und tauschten unsere Reiseführer aus, da wir unterschiedliche Bücher besaßen (für Insider: Ich habe den roten Wanderführer, weiter verbreitet ist aber der gelbe). Plaudernd gingen wir zurück zu unseren Bungalows (wir waren quasi Nachbarinnen) und ich sah, dass in der Zwischenzeit das zweite Bett belegt war. Meine erste Frage an die Frau in meinem Alter war die nach der Sprache und siehe da: schon wieder eine Deutsche. Wie praktisch, da mein Englisch einigermaßen eingerostet ist.
Wir kamen ins Gespräch und als ich erzählte, dass ich das erste Mal in meinem Leben überhaupt geflogen war, stutzte mein Gegenüber und fragte mich: »Bist du Melanie?«
Ich nickte verwundert und überlegte, wem ich denn schon meinen Namen verraten hätte. Mir fielen eigentlich nur die drei Pfälzerinnen vom Abendessen ein, aber das passte irgendwie nicht.
»Ich bin Birgit von Facebook!«
Lachend fielen wir uns in die Arme und ich lernte die nächste Lektion: Kein Zufall ist so abwegig, dass er nicht doch eintreten kann.
Birgit und ich sind in der gleichen Facebook-Gruppe über den Caminho Portugues und sie schickte mir vor einiger Zeit eine Freundschaftsanfrage, da wir zur gleichen Zeit unterwegs sein würden. Normalerweise nehme ich gar keine Freundschaftsanfragen von Fremden an, wegen des Weges habe ich aber eine Ausnahme gemacht.
Und dann landet von all den vielen Menschen auf dem Caminho Portugues ausgerechnet Birgit in meinem Bungalow!
So fand ich gleich am ersten Tag Gefährtinnen, die mich noch eine ganze Weile begleiten sollten.

Caminho Portugues Tag 2 – Von Angeiras nach Rates

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Ich bin dann mal … auf dem Jakobsweg!

Seit dem Ende der #11StepsChallenge war es hier im Blog relativ ruhig, das hat aber auch besondere Gründe.

Zum Einen schreibe ich gerade wirklich fleißig am neuen Siegerland-Krimi.
Auf dem MädelsKramMarkt vor knapp drei Wochen in der Siegener Innenstadt haben einige von euch ja schon Cover und Titel des Buches kennenlernen können, und auch die Newsletter-Abonnenten wissen schon Bescheid. Alle anderen müssen sich noch ein wenig gedulden …
Das intensive Schreiben hat allerdings zur Folge, dass mir für den Blog die Zeit, manchmal aber auch die Muße fehlt. Außerdem sind noch ein paar Wanderungen aufzuarbeiten, zum Beispiel vom Natursteig Sieg. Aber das kommt noch, versprochen!

Rucksack mit Wanderschuhen, Karte und Kompass
Symbolbild

Trommelwirbel!

Der Hauptgrund ist aber ein ganz anderer:
In wenigen Tagen beginnt mein Jakobsweg!
Anfang Mai fliege ich nach Porto, um von dort aus den Caminho Portugues zu starten – 240 km in 13 Tagen Gehzeit sind geplant.
Der Caminho Portugues hat mehrere Varianten:
a) den traditionellen Weg Caminho Portugues Central durchs Landesinnere,
b) die Variante Caminho Portugues da Costa an der Atlantikküste und
c) die Variante Espiritual do Caminho Portugues, ein Abzweig, den man sowohl von der Küste als auch vom Landesinneren aus nehmen kann.
Das Ziel ist natürlich Santiago de Compostela in Galizien.

Normalerweise bin ich nicht sonderlich gut strukturiert (sonst käme ich wohl nie auf die Idee, mitten in der Arbeit für meinen neuen Roman zwei weitere Bücher zu veröffentlichen!) – aber für den Caminho Portugues fühle ich mich gut vorbereitet.
Schon als im vergangenen Herbst die Idee in mir reifte, begann ich, das Internet nach Tipps und Tricks zu durchforsten. Dafür trat ich auch in eine Facebook Gruppe ein, in der es für jede nur denkbare Frage auch kompetente Antworten gibt. Außerdem fand ich dort auch Antworten auf Fragen, die mir niemals in den Sinn gekommen wären (Stichwort Struktur …).

Das Gepäck für den Jakobsweg

Der Rucksack

Mein erster Packversuch zeigte mir, dass mein 32 Liter-Wanderrucksack zu klein für die Unternehmung ist. Es hat zwar alles irgendwie reingepasst, aber für Proviant war dann kein Platz mehr. Also legte ich mir einen 38 Liter-Rucksack zu, der trotz seines größeren Volumens sogar noch leichter ist als mein normaler Wandererrucksack.

Die Schuhe

Ein größeres Problem waren hingegen die Schuhe. Normalerweise laufe ich ausschließlich barfuß oder in Barfußschuhen. Meine Füße haben damit ausreichend Platz und ich kann beim Gehen schön abrollen. Für so eine große Belastung wie den Jakobsweg traue ich mir Barfußschuhe aber nicht zu. Wegen des zusätzlichen Gewichts hätte ich gern Dämpfung im Schuh, außerdem gehe ich im Fersengang, wenn ich müde und erschöpft werde. Und das ist, in Verbindung mit dem Zusatzgewicht, ohne Dämpfung eine Qual für meine Gelenke. Für solche Experimente bin ich einfach nicht mehr jung genug.
Ich habe im Fachgeschäft bestimmt 20 oder mehr Wander- und Trailrunner-Schuhe anprobiert, sowohl für Männer als auch für Frauen. Letztlich gab es nur ein einziges Paar, das mir wirklich gut passt. Das war zwar leider auch mit das teuerste, aber da hätte ich definitiv am falschen Ende gespart.
Meine bisherigen, knöchelhohen Wanderschuhe (übrigens vom gleichen Hersteller) werden mir auf langen Strecken, wenn die Füße anschwellen, im Vorderfußbereich zu eng. Für Strecken unter 20 km oder auf felsigen Untergrund sind sie gut, taugen aber nicht für eine Langstreckenwanderung wie den Jakobsweg.

Die Ausrüstung

Den Rest der Ausrüstung wie Hosen, Merinoshirts, Wandersocken, Sonnenschutz und Stöcke habe ich ohnehin, das musste ich nicht extra kaufen.
Den Flug nach Porto habe ich bereits ein halbes Jahr vorher gebucht, mittlerweile auch die erste und die letzte Nacht in Porto (ich werde von Porto aus auch wieder zurückfliegen).
Der Rest wird sich geben.

Vom Plan, keinen Plan zu haben

Ich werde keine Etappen planen und auch spontan entscheiden, ob ich die Variante da Costa oder Central gehen werde. Auf Gronze.com gibt es ein hervorragendes Unterkunftsverzeichnis und ich werde einfach so lange laufen, wie ich kann und Lust dazu habe. Als einziges Zwischenziel behalte ich im Blick, dass ich spätestens am sechsten Tag die Grenze nach Spanien überschreiten sollte.
Dann wäre auch die Hälfte des Weges geschafft.

Ich bin noch nie geflogen, ich bin noch nie so eine weite Strecke gelaufen und ich war noch nie so lange von meiner Familie getrennt. Außerdem brauche ich regelmäßige »soziale Auszeiten«, also Raum und Ruhe, um mich zurückzuziehen.
Neben der körperlichen und mentalen Anstrengung werden also Übernachtungen in Herbergen und Unterkünften mit Mehrbettzimmern eine der größten Herausforderungen für mich. Ohropax sind eingepackt, die Kopfhörer auch – aber vielleicht gefällt mir ja gerade das Zusammensein mit den anderen Pilgern besonders gut? Wer weiß das schon! :)

Pilgern oder wandern?

Da ich nicht religiös bin (ich bin aus der Kirche ausgetreten) und auch keine Probleme oder Verluste bearbeiten muss, bin ich vielleicht auch gar nicht der typische Pilger. Oder gehöre zumindest nicht zu der Art Pilger, die sich viele Menschen vorstellen.
Aber ich glaube, dass sich insbesondere auf dem Caminho Portugues viele Menschen finden, für die das Wandern, das Abenteuer und das Austesten eigener Grenzen im Vordergrund stehen und die weniger das Spirituelle suchen. Das ist aber auch völlig in Ordnung so!

Ich plane zwar keine regelmäßigen Blogbeiträge, werde hier aber hinterher auf jeden Fall eine Zusammenfassung veröffentlichen. Wer mich auf meinem Jakobsweg virtuell begleiten möchte, kann das am besten bei Instagram: Link zum Profil.
Ich möchte keine täglichen Updates versprechen, sondern lasse auch das auf mich zukommen. Aber so ganz ohne Bilder werde ich meinen Weg wohl nicht gehen.
:)

Bom Caminho – Buen Camino – Ultreia!

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