Kriminelle Häppchen
In meinem nächsten Krimi lade ich euch zu einer Zeitreise ein – die Bilder verraten schon, worum es gehen wird. Passend zum 29-jährigen Jubiläum des Mauerfalls habe ich auf meiner Facebook-Seite Melanie Lahmer-Krimis eine kleine vierteilige Reihe zum Thema gemacht: Was geschah mit Michaela Wolff?
Ich habe mich sehr über die rege Teilnahme gefreut – und habe gleichzeitig noch ein paar neue Aspekte gewinnen können. Dafür danke ich euch allen!
Nur zu: Wer Lust hat, kann sich auch jetzt noch beteiligen, die Beiträge sind ja öffentlich. Und ich werde auch ganz bestimmt jeden lesen!
Teil 1
Am 9. November jährt sich der Mauerfall zum 29. Mal.
Ohne die Teilung Deutschlands und ohne den Fall der Grenzen vierzig Jahre später wäre mein nächster Krimi nicht möglich.
Es ist der erste Teil einer mehrbändigen Reihe um die Psychologin Nike Klafeld und soll im Frühsommer 2019 erscheinen.
Die Recherche war hochspannend, teilweise aber auch sehr beklemmend. Ich bin froh, dass mir so viele Zeitzeugen zur Verfügung standen und mir eine Seite der Teilung gezeigt haben, die mir als Kind nicht bewusst gewesen war.
Ich bin im »Zonenrandgebiet« aufgewachsen, beinahe in Sichtweite der Grenzbefestigungen. Für viele meiner Freundinnen und Freunde war die Grenze allgegenwärtig: tagsüber beim Blick aus dem Fenster, nachts durch das Gebell der Hunde.
Mehr als ein Mal hatte ich Angst, von Grenzsoldaten verhaftet oder erschossen zu werden, wenn ich mich nicht benehme.
Für uns war es normal, nicht in jede Richtung reisen zu können und Verwandte zu haben, die man nicht kennenlernen konnte.
Doch ich hatte Glück und wuchs auf der hessischen Seite auf.
Michaela und Carola, die beiden Protagonistinnen meines Krimis, hatten weniger Glück. Sie wurden auf der anderen Seite geboren.
Wie war das für euch: Habt ihr viel von der Teilung Deutschlands mitbekommen? Hatte sie Auswirkungen auf euren Alltag?
Auf welcher Seite seid ihr aufgewachsen?
Teil 2
Der 9. November 1989 fiel auf einen Donnerstag.
Ich war kurz zuvor 15 geworden, verliebt, und das Weltgeschehen interessierte mich nicht besonders. Die Nachrichten vom Morgen waren am Abend ohnehin überholt, die Ereignisse in der DDR überschlugen sich, ich hatte den Überblick verloren.
Damals war ich in der 9. Klasse, zu meinem Leidwesen hatten wir noch Samstagsunterricht. Alle 14 Tage. Die Hölle für Jugendliche, die gerade anfangen, die Freitagabende für sich zu entdecken.
Am ersten Samstag nach Grenzöffnung ging ich – wie jeden Samstag – mit meiner Freundin nach Schulschluss durch die Innenstadt nach Hause. Wir wollten unter Menschen sein, beim Bäcker eine Süßigkeit kaufen und das Geschehen am Marktplatz kommentieren. Was 15-jährige Mädchen eben so machen.
Doch dieser Samstag war anders.
Bebra, meine Heimatstadt, hatte damals rund 8.000 Einwohner (Kernstadt) und lebte von, für und mit der Bahn. Als Eisenbahnknotenpunkt hatte Bebra auch für den Interzonenverkehr eine große Bedeutung, denn ein Großteil der Züge aus und in die DDR und West-Berlin wurden in Bebra abgefertigt.
Bebra war also für Zugreisende aus der DDR, die nicht über Bayern oder Norddeutschland fuhren, die erste Station im Westen.
Das, was ich an diesem Samstag erlebte, lässt sich kaum in Worte fassen. Die Innenstadt war voll. Wirklich randvoll mit Menschen. Der Platz vor dem Rathaus war so überfüllt, dass wir unsere Fahrräder durch das Gewühl tragen mussten, weil nicht genug Platz zum Schieben war. Tausende DDR-Bürger hatten die Gelegenheit einer Bahnreise in die BRD genutzt. Wer wusste schon, ob sich diese Möglichkeit noch einmal bieten würde?
Alles war neu, ungewohnt, chaotisch und ungewiss. Niemand wusste, wie sich die Lage entwickelte, was die Zukunft bringen würde und was aus der Vergangenheit wurde.
An diesem Samstag wurde mir in voller Deutlichkeit bewusst, was da nur wenige Kilometer Luftlinie von meinem behüteten Zuhause entfernt geschah. Und es begann für mich eine Zeit mit vielen besonderen Erfahrungen, mit interessanten Menschen, unterschiedlichen Lebenswelten und der Teilhabe an etwas ganz Besonderem.
Trotzdem ärgere ich mich manchmal, dass ich diese Zeit nicht viel bewusster erlebt habe, nicht mehr Fotos gemacht habe, zu selten innehielt und über alles nachdachte.
Aber als Autorin habe ich die Möglichkeit, noch einmal in die 1980er-Jahre einzutauchen – mit dem Wissen von heute. Und es macht ziemlich viel Spaß!
Teil 3
Durch die unmittelbare Nähe zur Grenze konnten wir bei gutem Wetter DDR-Fernsehen empfangen, oft war es aber unscharf und krisselig und für mich als Kind total uninteressant. Einzig das Sandmännchen habe ich regelmäßig angeschaut, wenn ich bei meiner Oma zu Besuch war. Sie lebt im Werra-Meißner-Kreis und hatte besseren Empfang als wir.
Im Gegensatz zu »unseren« Westprogrammen war das DDR-Fernsehen jedoch nur schwarz-weiß. Auch die Fotos vom Großonkel in Sachsen-Anhalt waren schwarz-weiß, und so wuchs ich in dem Glauben auf, die DDR sei insgesamt schwarz-weiß. (Ja, es ist witzig! )
Ich war im Kindergartenalter, als wir auf dem Weg in Richtung Norden eine Zeitlang dicht an der Grenze entlangfuhren. Offensichtlich so dicht wie sonst nur selten, denn es gab extra Haltebuchten für Reisebusse, um einen Blick in die DDR erhaschen zu können.
Doch ich sah keine DDR, sondern nur Wiesen, Bäume, Kühe und vereinzelte Dörfer. Kein farbloses Areal, keine schwarz-weiß-grauen Flächen, sondern Grün in all seinen Schattierungen.
Da erst wurde mir langsam bewusst, dass die DDR gar nicht so exotisch war. Zwar unerreichbar, aber trotzdem irgendwie ganz normal. Mit grünen Bäumen und Wiesen und ganz normalen Tieren und Menschen. Und mit Kindern, die genauso gern im Matsch spielen wie ich.
Hattet ihr auch so sonderbare Vorstellungen von der DDR oder BRD?
Teil 4
Ich weiß nicht mehr genau, wann ich das erste Mal in Eisenach war.
Es war jedenfalls kurz nach Grenzöffnung, denn es gab noch Grenzkontrollen und einen Stempel im Reisepass sowie Zwangsumtausch, der am 24.12.1989 abgeschafft wurde.
Eisenach liegt nur 40 km von meiner Heimatstadt entfernt, aber es war nicht nur die Reise in ein anderes Land, sondern auch in eine andere Zeit. Die Fassaden waren grau-braun, die Luft roch speziell, die Innenstadt war komplett anders, als ich es kannte. Die Geschäfte waren nicht schon von Weitem als solche zu erkennen, es gab keine mir bekannten Marken zu kaufen. Vor der Bank stand eine lange Schlange, um Geld zu tauschen. In einer Nebenstraße wurden Kohlen in einen Keller geschippt, was ich bis dahin nur aus alten Filmen kannte.
Wir waren zu viert dort: Meine Eltern, meine jüngere Schwester und ich. Wegen des Zwangsumtauschs hatten wir Geld, das wir entweder ausgeben oder verschenken mussten – Rücktausch war nicht möglich. Also kauften wir Schokolade, Küchenartikel, Kleinkram und gingen das erste Mal überhaupt als Familie in ein Café, um Kaffee und Kakao zu trinken.
Es war ein bemerkenswerter Nachmittag.
Unsere Schule hatte eine Art Patenschaft mit einer Schule in Bebras Partnerstadt Friedrichroda, deshalb fuhren wir mit einem Bus voller Pubertierender nach Thüringen. Dort erfuhr ich das erste Mal vom Fahnenappell und trank rote Brause, kann mich ansonsten aber nur noch an ein marode wirkendes Schulgebäude erinnern.
Michaela, die Protagonistin meines Krimis, fuhr 1984 aus ganz anderen Gründen nach Eisenach – und erlebte dort ein viel größeres Abenteuer als ich.